DR. WATSON: Herr Schneider, die größte Rückversicherung der Welt interessiert sich für Gurken, Tomaten, Sprossen?
Reto Schneider: Wir haben uns das Ehec-Szenario angeschaut und verfolgen die Ereignisse mit Interesse.
DR. WATSON: Sie müssen Ihre Gründe haben.
Schneider: Bereits 2006 gab es einen ähnlichen Fall mit Spinat in den USA. Der war ebenfalls mit E. Coli kontaminiert. Etwa 200 Menschen erkrankten und drei sind vermutlich daran gestorben. Dieser Ausbruch hat bei den Versicherungen Schadenansprüche ausgelöst.
DR. WATSON: Bei Ihnen geht’s immer um Geld.
Schneider: Wir versichern die Versicherungen. Und müssen dann einspringen, wenn diese bezahlen müssen. Deshalb müssen wir die Risiken kennen, die wir absichern.
DR. WATSON: Und die Food-Risiken wachsen?
Schneider: Für uns sind das noch eher kleinere Risiken. Dennoch müssen wir uns auf alles einstellen, was neu oder weiter entwickelt wird. Wir sind die Frühwarnung oder Früherkenner.
DR. WATSON: Und was haben Sie momentan auf dem Radar?
Schneider: Zum Beispiel das Dickerwerden der Menschen. Das kann die Gesellschaft und schlussendlich für die Versicherungen teuer zu stehen kommen.
DR. WATSON: Auf lange Sicht.
Schneider: Ja, insbesondere für die Krankenversicherungen, welche für die Medikamente und Pflegekosten aufkommen müssen. Auch hier fürchten wir Dominoeffekte ähnlich wie bei der Finanzkrise.
DR. WATSON: Bei Lebensmitteln?
Schneider: Ja, Nahrungsmittel sind immer gut für einen Skandal.
Sie können davon ausgehen, dass eine Rückversicherung die ganze Welt versichert. Wir sind dann auch weltweit betroffen.
DR. WATSON: Ein Tsunami aus dem Supermarkt.
Schneider: Ein Problem sind dabei die unübersichtlichen Lieferketten. Wenn ich was im Supermarkt etwas aus dem Regal hole, ist ja oft nicht mehr nachvollziehbar, woher das Produkt kommt.
DR. WATSON: Mango, Kokosnüsse?
Schneider: Nicht nur, auch schon bei ganz normalen Nahrungsmitteln wie Hühnchen, abgepackt, tiefgefroren. Fertigpizza mit den ganzen Inhaltsstoffen.
DR. WATSON: Die Fertigpizza als Versicherungsfall?
Schneider: Denkbar ja. Bei grösseren Problemen, welche zu Erkrankungen führen kann es dann Ansprüche an die Hersteller und Verkäufer geben. Das geht durch die ganze Lieferkette. Der Supermarkt wehrt sich. Dann geht es an den Lieferanten, den Hersteller und am Ende bis hin zum Farmer. Da ist die Frage, wer haftet und welche Versicherung muss wie viel bezahlen. Wir springen ein wenn die Schäden über ein gewisses Niveau hinausgehen.
DR. WATSON: Davor haben Sie Angst.
Schneider: In der Firma haben wir keine Angst vor Schadenfällen, denn versichert wird nur, was man versteht, analysiert und auch berechnet hat. Aber wir müssen die Zukunft im Blick haben und vieles antizipieren können.
DR. WATSON: Sie lernen aus Skandalen.
Schneider: Mich interessieren die Lehren und die Fehleinschätzungen. Ich gestehe der Menschheit zu, Fehler zu machen, aber bitte nur einmal denselben - nicht mehrmals.
DR. WATSON: Lernt denn auch die Branche?
Schneider: Gerade die Food-Firmen sind sehr besorgt und machen eigentlich einen guten Job. Wenn wir direkt zu den Firmen gehen, lasse ich mir das Risikomanagement und die Qualitätskontrollen erklären, um mir so ein Bild zu machen. Die Food-Firmen teilen jedoch häufig unsere Risikoeinschätzung nicht, weshalb wir nicht beliebig viel Geschäft mit ihnen machen können.
DR. WATSON: Was sind denn die wichtigsten Zukunftsrisiken?
Schneider: Unter anderem sicher die Nahrungs- und Energieversorgung. Einfache, aber grundlegende Themen: Wie stellen wir sicher, dass die Menschheit genug zu essen hat. Das ist das Thema der Zukunft.
DR. WATSON: Das ist doch eher ein Thema für den evangelischen Kichentag?
Schneider: Eben auch für uns. Wenn die Nahrung knapp wird, kann die Neigung wachsen, da zu betrügen, beispielsweise indem Dinge hineingemischt werden, die nicht reingehören, um Nährwert vorzutäuschen.
DR. WATSON: Wie damals beim Babypulver-Skandal in China.
Schneider: Diese Melamin-Geschichte war für uns ein Lehrstück. Da haben wir uns gesagt, Moment mal, wenn das Schule macht, dann müssen wir uns darauf einstellen, dass bestimmte gefährliche Substanzen in Zukunft häufiger in Nahrungsprodukten auftauchen wo sie definitiv nicht hingehören.
DR. WATSON: Sie kämpfen für das Gute in der Welt?
Schneider: Bei uns ist das immer auch ein Geschäft. Wir wollen die Besten sein, wenn es darum geht, Risiken zu verstehen, zu analysieren und sinnvolle Versicherungsprodukte anzubieten.
DR. WATSON: Eine Versicherung gegen Nahrungsknappheit?
Schneider: Wir denken darüber nach, wie man nach einer Flut oder einer Dürre den Betroffenen durch Versicherungen helfen könnte und versuchen dann dafür neue Produkte zu entwickeln. Eine Dürre kann man gut versichern, weil man Niederschlagsmengen und Trockentage messen und mit Satellitenbildern den Zustand der Felder dokumentieren kann.
DR. WATSON: Und je vertrockneter der Mais, desto mehr kriegt der Bauer?
Schneider: Nein, wir können ja keine braunen Blätter zählen. Dafür haben wir neue Produkte im Angebot, bei denen nach Eintreten von messbaren Ereignissen die vorher vereinbare Summe Geld ausbezahlt wird – und zwar unabhängig vom entstandenen Schaden. Wir Versicherungsleute nennen das die parametrische Deckung. Und wir können damit der Sicherung der Nahrungsversorgung dienen.
DR. WATSON: Herr Schneider, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.