Chemie im Essen kann Ihre Gesundheit gefährden
 
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Falsche Ernährung: Wer ist schuld? Entlastung für Diät-Sünder
„Wir sind Sklaven unserer Umgebung“
Wenn die Leute dick oder gar krank wären, liege es oft an falscher Ernährung. Sagen die Ernährungsexperten. Die Leute würden die falschen Sachen auswählen. Zu fett, zu süß, zu viel. Sie seien sozusagen selbst schuld. Ein Irrtum, wie eine neue wissenschaftliche Studie zeigt: Der Mensch isst das, was man ihm vorsetzt. Das Angebot in den Supermärkten spielt eine wesentliche Rolle, wenn die Leute dick und krank werden, auch die Industrie und natürlich die Werbung.
Wer ist schuld, wenn die Leute krank werden - die, die zugreifen, oder die, die das griffbereit hinstellen?

Wer ist schuld, wenn die Leute krank werden - die, die zugreifen, oder die, die das griffbereit hinstellen?
© Joachim E. Röttgers/Graffiti
Die Menschen essen mehr als früher und zwar nicht aus freien Stücken, sondern weil ihre Umwelt sie dazu verleitet. „Wir sind Sklaven unserer Umgebung,“ sagt David Levitsky, Professor für Ernährungswissenschaft und für Psychologie. Er forscht an der Cornell-Universität in der Stadt Ithaca im amerikanischen Bundesstaat New York über die Ursachen für die Zunahme des Übergewichtes in der Welt. Für seine neue Untersuchung wertete er mit einer Mitarbeiterin mehr als hundert Studien zum Essverhalten aus.

„Die freie Wahl ist eine Illusion“, konstatierte Levitzky. Er fand eine komplexe Kombination von Einflussfaktoren, die die Auswahl mitbestimmen, neben der Größe der Portionen auch die Vielfalt der angebotenen Nahrungsmittel, der Fettgehalt, der Ort der Nahrungsaufnahme und der Umstand, in welchem Ausmaß die Menschen der Lebensmittelwerbung ausgesetzt sind.

Wenn der Mensch nicht gerade gezügelt werde durch zwingende medizinische Gründe, ein ärztliches Machtwort oder strenge Esspläne, sei er höchst „verletzlich“ gegenüber diesen Einflüsterungen und anfällig gegenüber diesen „Stimuli“ aus zumeist kommerziellem Hintergrund, bei denen bestimmte Techniken sehr effizient eingesetzt würden, „um uns dazu zu veranlassen, ein bisschen mehr zu essen.“

Der Druck habe seit den 80er Jahre erheblich zugenommen, so die Forscher. Früher seien die Esser in ihren Entscheidungen noch freier gewesen. Nach Einschätzung der Forscher ist es heute „kein Zeichen von persönlicher Schwäche,“ wenn Menschen zuviel essen. Diese Entscheidung sei „vielmehr von vielen Umweltfaktoren bestimmt, die seit den frühen 1980er Jahren zugenommen haben, als Folge der Kommerzialisierung des Essens“. Die Autoren sehen natürlich auch eine individuelle Verantwortung, die jedoch von den äußeren Einflüssen geprägt werde, eingebunden sei in ein handlungsbeeinflussendes Macht-Gefüge von Signalen aus Medien und Werbung auf der einen Seite – von den Maßnahmen der Regierung, „diese Signale zur Nahrungsaufnahme zu kontrollieren, auf der anderen Seite.

Die deutsche Verbraucherpolitik beruht bislang auf dem – nach diesen neuen Erkenntnissen einigermaßen unrealistischen - Leitbild des „mündigen Verbrauchers“. Gesetzliche Regelungen gehen davon aus, dass jeder Käufer vollkommen informiert ist und seine Kaufentscheidungen rein rational auf Basis dieses Wissens trifft. Nicht bedacht werden emotionale und unbewusste Botschaften, etwa durch Werbung, Packung und Platzierung, auf die Wirkung der Kaufentscheidung.

Bislang konnte die Industrie sich immer auf dieses Konzept des mündigen Verbraucher berufen, wenn sie in Sachen Gesundheit zur Verantwortung gezogen werden sollte. Jener könne schließlich frei entscheiden, was er isst.

Levitsky fordert die Politik auf, Verantwortung zu übernehmen. Seiner Meinung nach müssen behördliche Regelungen das Individuum vor falschen Signalen aus der kommerzialisierten Welt des Essens schützen.

Für die nahende Weihnachtsschlemmerei jedenfalls gibt die neue Studie vorab Entlastung. Für die kulinarischen Exzesse in den nächsten Wochen sind nicht die armen Diät-Sünder allein verantwortlich, sondern das gesellschaftliche Milieu mit seinen Zimtsternen, Kokosmakronen, Christstollen, Gänsebraten. Ein starker gesellschaftlicher Sog, der weitgehend unwiderstehlich ist.
Allerdings, in dieser Ausprägung, nur von kurzer Dauer – und hernach abgelöst von dem ganzjährigen Dauerfeuer aus Werbung in Medien und allgegenwärtigem, superbilligem Esszeug im Überfluss.
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