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DR. WATSON Interview:
Die Welt berät in Genf über neue Plagen / 100.000 Tote am Tag:
„Eine vermeidbare Katastrophe“
DR. WATSON im Gespräch mit WHO-Direktor Rüdiger Krech
Er trägt stoppelkurzes Haar, eine schicke Brille, dunklen Anzug mit weiß-blau gestreiftem Hemd, Krawatte. Nachher muss er noch zu einem Treffen mit einer arabischen Prinzessin. Sie ist Ehrengast der Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die diese Woche in Genf stattfindet. Rüdiger Krech ist bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Direktor der Abteilung für Ethik, Gerechtigkeit, Handel und Menschenrechte. DR. WATSON sprach mit ihm über Gesundheit, Ernährung und die Notwendigkeit einer neuen Politik.
Gestern in Genf: WHO-Direktor Rüdiger Krech (links) mit DR. WATSON-Redakteur Hans-Ulrich Grimm.

Gestern in Genf: WHO-Direktor Rüdiger Krech (links) mit DR. WATSON-Redakteur Hans-Ulrich Grimm.
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DR. WATSON: Herr Dr. Krech, die Weltgesundheitsorganisation beschäftigt sich in dieser Woche mit sogenannten nicht übertragbaren Krankheiten. Sind die denn so schlimm?

Rüdiger Krech: Das sind die Krebserkrankungen, die Herz-Kreislauferkrankungen, die Zuckerkrankheit Diabetes, chronische Atemwegserkrankungen. Alle Krankheiten, die nicht über Bakterien oder Viren übertragen werden. 100.000 Menschen sterben davon am Tag.

DR. WATSON: Am Tag. Also eher eine Katastrophe.

Krech: Aber eine vermeidbare Katastrophe. Diese Krankheiten entstehen durch Rauchen, zu wenig Bewegung, ungesunde Nahrung. Das sind die Haupt-Risikofaktoren.

DR. WATSON: Und Sie sind für die sozialen Hintergründe zuständig.

Krech: Für die sozialen Bedingungen, die bei diesen Krankheiten ganz offensichtlich sind. Denn es geht nicht nur um unsere eigene, persönliche, individuelle Entscheidung, sondern es geht auch um die Strukturen, in denen wir leben.

DR. WATSON: Um das Nahrungs-Angebot, beispielsweise.

Krech: Natürlich. Wenn es für mich keine Möglichkeit gibt, zum Beispiel an meinem Arbeitsplatz gesunde Nahrungsmittel zu beschaffen, werde ich einfach zu dem greifen, was da ist. Auch wenn es ungesund ist.

DR. WATSON: So wie hier in der Cafeteria im Palais der Nationen. Cola Light...

Krech: ... das Muffin hinterher, das Käsesandwich obendrauf, genau.

DR. WATSON: Das, was manche „Toxic Environment“ nennen, die ungesunde Umgebung.

Krech: Es geht um unsere Lebensbedingungen. Die sind unterschiedlich, je nachdem, wo wir leben. Wenn wir in Deutschland leben, gibt es für manche Menschen recht komfortable und gesunde Lebensbedingungen, und für andere Menschen eben schlechtere Lebensbedingungen. Das sehen wir dann eben auch in der durchschnittlichen Lebenserwartung.

DR. WATSON: Arme sterben früher.

Krech: Die Möglichkeiten für manche Menschen in den ärmeren Stadtteilen unserer Städte wohnen, an gesundes Essen zu kommen, sind weitaus schlechter, als für reichere Bevölkerungsschichten. Das Reformhaus um die Ecke, das gibt es in den wohlhabenderen Stadtbezirken, in Arbeitersiedlungen ist das eher die Ausnahme. Und da das nicht nur in Deutschland so ist, sondern noch viel viel ausgeprägter in den USA. Dort gibt es ja die Initiative der First Lady Michelle Obama zu den Food-Deserts...

DR. WATSON: ... den Lebensmittelwüsten, in denen es nichts Frisches mehr zu kaufen gibt...

Krech: ... und die sehen wir mittlerweile auch in Deutschland, vor allem in Ostdeutschland, wo die Supermärkte, die die etwas gesündere Nahrung anbieten...

DR. WATSON: ... Obst, Gemüse: echtes Essen...

Krech: ...aus vielen Stadtbezirken abwandern. Dort haben Sie in vielen Gegenden nur noch die absoluten Billigdiscounter, die kein frisches Gemüse mehr haben, kein frisches Obst, kein frisches Fleisch, keinen frischen Fisch, keine frischen Milchprodukte. Und das nimmt zu. Das steigert das Risiko, an nicht-übertragbaren Krankheiten zu leiden.

DR. WATSON: Die Politik unterstützt zur Zeit weltweit eher das Ungesunde, indem es Subventionen gibt beispielsweise für Zucker, aber keine Unterstützung für Gärtnereien, frisches Obst, frisches Gemüse.

Krech: Ja genau, und das ist es, was wir unter Governance, unter Regierungsführung verstehen. Da gibt es eine internationale, globale Governance, die eben genauer beobachten und auch eingreifen muss, wenn die ungesunden Entscheidungen getroffen werden. Deswegen setzen wir uns für sogenannte Health Impact Assessments ein.

DR. WATSON: Das bedeutet, dass bei politischen Entscheidungen immer die gesundheitlichen Folgen abgeschätzt werden müssen?

Krech: Genau darum geht es. Und da müssen wir in den unterschiedlichen Bereichen, während solche Entscheidungen getroffen werden, mit am Tisch sitzen und die Entscheider, die Politiker, darüber informieren, dass ihre Beschlüsse Folgen für die Gesundheit haben.

DR. WATSON: Wenn also in einzelnen Ländern, Deutschland, Italien, Botswana, Entscheidungen fallen, hebt die WHO den Finger und sagt, Achtung, das hat Gesundheitsrelevanz?

Krech: Das kann die WHO sein, das können auch andere sein, aber wir müssen das als Global Health Community, als Globale Gesundheitsgemeinschaft, als Kriterium in die Köpfe der Menschen hineinbringen.

DR. WATSON: Denn Sie sitzen ja nicht überall mit am Tisch.

Krech: Eben. Deswegen kann es auch nationale Komitees dazu geben. Es muss aber gesichert sein, dass diese Gesundheitsfolgenabschätzung institutionalisiert wird in den Entscheidungsprozessen.

DR. WATSON: Das ist also eher eine Form von Bewusstseinsarbeit, Sensibilität zu schaffen für die Auswirkungen, die Entscheidungen auf die Gesundheit haben.

Krech: Das ist eine politische Aufgabe, das ist eine Rechtsaufgabe, wenn Sie so wollen. Das wird dann eine Verwaltungsverpflichtung, wenn Sie das institutionalisieren. Daran müssen wir arbeiten, global arbeiten, und man muss es national umsetzen.

DR. WATSON: Aber Verbote wollen Sie nicht, dass demnächst alles Süße verboten wird?

Krech: Nein, das wollen wir nicht, das können wir auch nicht, weil es nicht darum geht, Gesundheitsdogmatiker zu werden. Das ist vielleicht auch der Unterschied zwischen Tabakindustrie und Zuckerindustrie. Dass wir auch weiterhin die Schokolade und die Erdbeertorte mit Sahne genießen. Aber eben so, dass es die Ausnahme wird und nicht die Regel.

DR. WATSON: Herr Krech, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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