Eine Ende Mai 2012 veröffentlichte Studie der Fakultät für Pharmazeutische Wissenschaften an der Universität Kopenhagen zeigt die erstaunlichen Ergebnisse zum Vitamin D. Knapp eine Viertel Millionen Menschen, genauer: 247574 Kopenhagener, hatte das Team um Forschungsleiterin Darshana Durup untersucht, um einen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Gehalt im Blut und Langlebigkeit festzustellen.
Anschließend berechneten die Wissenschaftler das Verhältnis von Vitaminspiegel und Lebenszeit (für Statistik-Fans: mit Hilfe einer speziellen Methode der mathematischen Statistik, dem sogenannten Regressionsmodell).
Nicht sehr überraschend war das Ergebnis, dass ein Vitaminmangel die Sterblichkeit (auf das 2,31-Fache) erhöhte.
Neu aber war die Beobachtung, dass auch ein Zuviel an Vitamin D zu vorzeitigem Tod führen kann: „Wir haben ein höheres Sterblichkeitsrisiko gefunden bei Menschen mit einem niedrigen Leveln an Vitamin D, aber zu unserer Überraschung haben wir es auch gefunden bei Menschen mit einem erhöhten Vitamin D Spiegel.“
Studienleiterin Durup weist darauf hin, dass aufgrund ihrer Ergebnisse zumindest der Ansatz „man könne nie genug Vitamin D haben“ hinterfragt werden musst.
„Es gibt keinen wissenschaftlichen Hinweis für ein ‚mehr ist besser’ Argument für Vitamin D und unsere Studie unterstützt das Argument auch nicht. Wir hoffen, unsere Studie inspiriert andere, auch nach dem Grund für eine erhöhte Sterblichkeit durch zuviel Vitamin D zu forschen,“ sagt Durup.
In Deutschland streiten die Experten noch: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat Anfang des Jahres erst ihre Empfehlungen zur Vitamin-D-Zufuhr erhöht und die Normwerte für die Vitamin-D-Aufnahme vervierfacht von fünf auf jetzt 20 Mikrogramm– was die Menschen praktisch zu Vitaminzusätzen nötigt.
Es wurde aber auch Widerspruch laut: So warnten, zwei Wochen, später die Hormonkundler der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (ebenfalls abgekürzt als DGE) vor unkontrollierter Verabreichung.
Für Krankheitsbilder wie Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes, Multiple Sklerose, Immun- und Infektionskrankheiten lägen „nicht genügend valide Daten aus großen Interventionsstudien zur Vitamin D-Gabe“ vor, so ein Statement der Hormonforscher. Schon im Februar 2010 hatte die Fachgesellschaft angesichts grassierender Vitamin-D-Euphorie zu einem „bewussten Umgang mit Vitamin D-Präparaten“ geraten.
Wichtigste Nebenwirkung: „Hypercalcämie“, Verkalkung. Das hatte auch eine Untersuchung der renommierten Cochrane-Collaboration vom vorigen Jahr ergeben.
Bei anderen Vitaminen hatten Cochrane-Forscher sogar eine Erhöhung der Sterblichkeit konstatiert: Bei den Vitaminen A, E oder auch Betacarotin um bis zu 16 Prozent, was bei 20 Prozent Vitaminverwendern unter den Erwachsenen in Deutschland 7000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr entspricht. Das bedeutet: Es gibt hierzulande fast doppelt so viel Vitamintote wie Verkehrstote.
Nach der dänischen Studie kann jetzt auch künstliches Vitamin D unter die möglicherweise lebensverkürzenden Mittel eingereiht werden.
Natürliches Vitamin D hingegen gilt als nebenwirkungsfrei. Wichtigste Quelle ist nicht die Nahrung, sondern die Sonne. Schon drei mal 15 Minuten Aufenthalt im Freien pro Woche seien genug, so das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einer Stellungnahme zu Vitaminen.
Das BfR machte auch auf zahlreiche “Wissenslücken” aufmerksam. So fehlten offenbar vergleichende Untersuchungen zur Vitamin-D-Versorgung in Europa unter Berücksichtigung von Sonnenschein und Nahrung.
Auch sei völlig unklar, wie viel Vitamin D der Körper selbst speichern könne und wie lange. Das BfR: „Die Entwicklung von Methoden, um den Speicher im Körper zu bewerten, ist notwendig, um den Bedarf an Vitamin D in Abwesenheit von Sonnenlicht, vor allem in den Wintermonaten, in allen Altersgruppen besser bewerten zu können.“
Seit Jahren werden, bislang weitgehend unumstritten, schon Babies mit Vitamin-D-Präparaten versorgt, zur Rachitis-Vorbeugung. Im letzten Jahr allerdings ergab eine Studie aus Münster, dass manche Kinder wegen einer bestimmten Genvariante dieses künstliche Vitamin D nicht vertragen, irreversible Nierenschäden können die Folge sein.
Viele Nahrungsmittel, vor allem für Kinder, werden künstlich vitaminisiert, beispielsweise die „Fruchtzwerge“ von Danone, aber auch Corn Flakes von Kellogg’s oder Nesquik von Nestlé.
Mehr dazu:
Hans-Ulrich Grimm
Vom Verzehr wird abgeraten.
Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht
Droemer Verlag
320 Seiten Klappenbroschur € 18,00
ISBN 3-426-27556-2
ISBN 978-3-426-27556-6