Die weltweite Seuche des Übergewichts und damit einhergehende Krankheiten wollen US-Kommunen jetzt an der Quelle bekämpfen: dem allgegenwärtigen Angebot. Sie gehen vor gegen Cola-Automaten an jeder Ecke, gegen Riesen-Portionen, mit Verboten und aggressiver Anti-Werbung etwa in U-Bahnen.
Die immer wiederkehrenden Appelle zu „gesunder Ernährung“ haben sich als erfolglos erwiesen angesichts eines permanenten und allgegenwärtigen Angebotsdrucks. US-Fachleute haben daher diese „giftige Umgebung“ („Toxic Environment“) als Hauptschuldigen an der Epidemie identifiziert.
New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg hat sich an die Spitze der Bewegung gesetzt, politische Maßnahmen ergriffen – und sich dafür von der Industrie als „Kindermädchen der Nation“ beschimpfen lassen. Softdrinks mit mehr als 0,475 Litern (16oz) dürfen dort nicht mehr verkauft werden, weder in Restaurants noch in Fastfood-Ketten, auch nicht in Feinkostgeschäften, Kinos, Sportstadien oder von mobilen Essensverkäufern.
Im August und September 2012 warnten in den U-Bahnschächten und anderen öffentlichen Plätzen New Yorks prominent platzierte Plakate mit deutlichen Botschaften und starkem Design vor den Gefahren durch
Junk Food und
süße Brausen. Sogar ein Notruf für unwissende Bürger wurde eingerichtet, unter dem sie sich schnell nach gesunden Alternativen erkundigen können. Die dazugehörigen Flyer nutzen zur Motivation außerdem die Kostenersparnis durch den Verzicht auf Junk und die Entscheidung für echtes Essen.
Zahlreiche amerikanische Städte und Landkreise gehen mit gesetzgeberischen Maßnahmen gegen zuviel Fast Food und Zuckerwaren im öffentlichen Raum an, in der City, im öffentlichen Nahverkehr, in Schulen und Krankenhäusern, in Büchereien und Parks.
Im Rahmen der „lokalen Getränkepolitik“ etwa haben kalifornische Städte und Gemeinden wie Carson, Long Beach oder San Fernando exakte Vorschriften für Getränkeautomaten erlassen. Die Stadtverwaltung von Huntington Park an der Westküste Kaliforniens hat zum Beispiel vorgeschrieben, dass 100 Prozent der Getränkeautomaten in öffentlichen Gebäuden ausschließlich ein Getränk enthalten dürfen: Wasser.
In der Kleinstadt Carmel, knapp 200 km südlich von San Francisco haben sie ein Gesetz erlassen, nach dem Fast-Food-Restaurants und Drive-In-Restaurants in der Stadt verboten sind. Sogar über Inhalt der Automaten in Bibliotheken und Flughäfen wurden exakte Vorschiften erlassen. Etwa in San Jose. Mindestens 50 Prozent der Getränkeautomaten der Stadt müssen den Menschen natürliche Getränke, ohne Zuckerzusätze und Chemie, bieten.
Im Schulbezirk San Francisco wurde 2002 die Art der erlaubten Getränke eindeutig geregelt: Nur Milch, 100 Prozent Saft, Saftschorlen ohne Zucker, Süßstoffe, Koffein oder andere Zusätze dürfen verkauft werden. Ausdrücklich nicht gewollt sind „Sportgetränke“, “Elektrolytgetränke“ oder “Vitaminwasser“. Immer mehr kalifornische Städte sagen auch „no“ zu den herkömmlichen Süßigkeiten-Automaten in der Schule. Stattdessen gibt es unter anderem Karotten im Snack-Automaten.
Untersuchungen der University of Illinois at Chicago zeigen, dass die Schüler dort seit der Abschaffung der Junk-Snacks und süßen Brausen deutlich weniger Kalorien, Fett und Zucker zu sich nehmen.
Auch renommierte Wissenschaftler, wie etwa Walter Willett, Professor für Epidemiologie und Ernährung an der Harvard School of Public Health in Boston im US-Bundesstaat Massachusetts, setzen sich dafür ein, Softdrinks und Fastfood zu verbannen.
In der Anhörung zum Gesetz des Softdrinkverbotes am 24. Juli 2012 in New York brachte er die gesundheitlichen Gefahren auf den Punkt: "Süße Brausen in großen Mengen sind Stoffwechselgifte". Er spricht von der dickmachenden oder sogar von einer giftigen Essumgebung ("obesogenic" Environment oder Toxic Food Environment). In der Gesundheitsforschung wächst die Einsicht, dass die Rahmenbedingungen zu ändern sind, damit den Menschen eine gesunde Wahl überhaupt möglich ist.
Deutsche Kommunen haben bislang nicht vor, an der „giftigen Umgebung“ auf ihrem Hoheitsgebiet etwas zu ändern. Das ergaben Anfragen von DR. WATSON bei ausgewählten Städten.
In der Hauptstadt Berlin herrsche "kein akuter Handlungsbedarf", so die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz gegenüber DR. WATSON. Berlin sei ohnehin "nicht mit New York vergleichbar", so meint, ungewohnt bescheiden, die Senatsverwaltung - jedenfalls "hinsichtlich der Verpackungsgrößen von Softgetränken".
Hamburg setzt nach Auskunft der Senatsverwaltung weiterhin "auf Information und Aufklärung, um Menschen bei einer bewussten und gesunden Ernährung zu unterstützen." Der norddeutsche Stadtstaat bevorzugt sanfte Maßnahmen, wie Fortbildungsangebote für Kindertagesstätten und das Aufstellen von Trinkwasserspendern in Schulen.
Auch am Frankfurter Flughafen wird es weiter an jedem Gate Cola-Automaten geben: „Wir setzen auf den aufgeklärten, mündigen Bürger, der über sein Ernährungsrisiko informiert ist,“ so die Antwort aus dem Dezernat für Umwelt, Gesundheit und Personal in Frankfurt. Die Stadtverwaltung würde für „dirigistischen Aktionismus“ nicht von dieser „Linie“ abweichen wollen.