Es war eine außergewöhnlich sorgfältig angelegte Untersuchung, bei der das Team um die Medizinerin Sara Holmberg aus dem südschwedischen Växjö 250 Kilometer südöstlich von Göteborg und ihrem Kollegen Anders Thelin von der Universität Uppsala bemerkenswerte Geduld zeigte.
Sie warteten 12 Jahre lang, wie sich fettreiche und fettarme Milchprodukte auf den Bauchumfang auswirkten. Zu Beginn und am Ende des Untersuchungszeitraums fragten sie ihre Versuchsteilnehmer nach ihrem Verhältnis zum Milchfett und ihrem allgemeinen Gesundheitszustand und maßen dabei das Bauchfett.
Im ersten Erfassungsgespräch nahmen 1782 Männer aus neun ländlichen Gemeinden teil, sie waren damals zwischen 40 und 60 Jahren alt. In der zweiten Runde beim „Follow Up“ waren immerhin noch 1589 Männer dabei.
Tatsächlich entwickelten insgesamt 15 Prozent der Männer während der 12 jährigen Studiendauer eine „zentrale Adipositas“, wie die Wölbung in der Körpermitte im Fachjargon genannt wird.
Erstaunliches Ergebnis: Wer wenig Milchfett aß, hatte ein höheres Risiko, mehr Bauchfett zu entwickeln – das nicht nur ästhetisch problematisch ist, sondern auch für die Gesundheit. Die Kandidaten nahmen dabei das zu sich, was die offiziellen Ernährungsrichtlinien eigentlich empfehlen: wenig Fett. Keine Butter, fettarme Milch, selten oder nie Schlagsahne. Wer sich hingegen weniger kasteite, die Butter nicht vom Brot nehmen ließ, Milch in Vollfettvariante wählte und auch Schlagsahne genoss, der hatte ein deutlich niederigeres Risiko für die Fülle in der Körpermitte.
Den möglichen Einfluss von Alkohol, Zigaretten, Gemüseverzehr, körperlicher Aktivität, Alter, Bildung und beruflichem Umfeld haben die Forscher dabei herausgerechnet.
Der als typisch männlich geltende Fettansatz am Bauch ist Medizinern zufolge besonders gefährlich. Stärker als anderes Fettgewebe produziert es hormonähnliche Stoffe und greift darüber in den gesamten Stoffwechsel ein und scheint das Risiko für Erkrankungen wie etwa die koronare Herzkrankheit und den Diabetes Typ 2 erhöhen. Die genauen Mechanismen der auch als Stammfettsucht bezeichneten krankhaften Fettverteilung beginnt die Forschung gerade erst zu verstehen.
Schon im Jahr 2007 hatten Forscher der Universität Göteborg nachgewiesen, dass Kleinkinder, die mehr Fett verzehrten, schlanker waren als jene, die fettarm lebten. Dickmacher Nummer eins war dem Team der Mediziner zufolge der Zucker.
Deutsche Adipositasforscher um den Ulmer Professor Martin Wabitsch hatten sogar
herausgefunden, heraus, dass ein spezielles Milchfett mit dem Kürzel CLA („konjugierte Linolensäure“) Fettzellen auflösen kann, indem sie an deren sogenannte „Killer-Rezeptoren“ andockt.
Aus solchen Erkenntnissen entwickelt dann die Food- und Pharma-Industrie gewinnträchtige Geschäftsideen. Die BASF-Tochter Cognis beispielsweise hat einen ganz besonderen CLA-Hit im Programm, der unter dem Markennamen »Tonalin®« verkauft wird. »Tonalin®« zielt auf die Dicken. Je dicker die Bäuche, desto dicker das Geschäft, sagen sie in den USA (»Expanding waistlines, expanding market«). Wer als Zukunfts-Company gelten will, setzt jetzt auf CLA.
Natürlich wäre es einfacher, wenn die Leute zum Abnehmen das echte Milchfett essen würden, aus Milch, Joghurt, Quark, Käse, Butter und Sahne. Weil die Leute aber fettarm essen, wie es die Ernährungsexperten empfehlen, essen sie weniger CLA – und werden dicker.
Der Branchendienst Nutraingredients sagt: »CLA ist eine Fettsäure, die natürlicherweise in Fleisch und Milchprodukten enthalten ist. Infolge von Veränderungen in der westlichen Ernährungsweise ist der durchschnittliche Verzehr von CLA zurückgegangen.« Denn: »Wenn das Fett entfernt wird aus einem Milchprodukt, um ein fettarmes zu machen, wird das Fett CLA gleich mit entfernt.«
Die schwedische Studie hat jetzt bestätigt, wie wirkungsvoll es für die Figur ist, wenn die Schlankmacher-Fette in ihrer natürlichen Umgebung verzehrt werden: schön fetten Milchprodukten.
Alles über solche Geschäftsideen, Risiken und Nebenwirkungen, und die wirklich erfolgversprechenden Wege zur Gesundheit:
Hans-Ulrich Grimm
Vom Verzehr wird abgeraten. Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht.
Droemer Verlag 2012, 18 Euro.
Seit 50 Wochen ununterbrochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, mehr als 100.000 verkaufte Exemplare.