Bronchiolitis obliterans heißt die „Popcornlunge in der Fachsprache. Hinter dem Begriff verbirgt sich einer sehr seltene Entzündung der Bronchien, die zu schweren Atemproblemen führt, im schlimmsten Fall sogar zum Atemstillstand. Lungenspezialisten vom National Jewish Medical and Research Center in Denver haben das Butteraroma mit der chemischen Bezeichnung Diacetyl als Ursache für die Lungenerkrankung identifiziert.
Der Stoff ist nicht nur in Mikrowellen-Popcorn drin, in besonders hoher Konzentration, es ersetzt auch echte Butter in Sauce Hollandaise aus der Tüte, in Kuchen, Keksen und Snacks. Auch am Geschmack von Fertiggerichten wird mit Diacetyl gebastelt, Backmischungen werden aufgepeppt und bestimmte Öle oder Margarine für den Gaumen von Butterfans abgerundet.
Dabei gelten die von der Food-Industrie eingesetzten Aromen gemeinhin als harmlos: Sie werden zwar massenhaft, aber nur in sehr geringen Mengen eingesetzt. Die wichtigste Nebenwirkung wird ohnehin amtlich nicht untersucht – das Übergewicht: Weil Aromastoffe Geschmack und damit Qualität vorgaukeln, die nicht vorhanden ist, irritieren sie den Körper und führen so zu überhöhter Nahrungsaufnahme.
Bei der Popcorn-Lunge handelt es sich um eine wenig bekannte, aber umso schwerwiegendere Nebenwirkung. Sie trifft nicht nur Hardcore-Konsumenten, sondern in erster Linie die Beschäftigten in den Fabriken, die im Produktionsprozess mit hohen Dosen der Aromachemikalie in Kontakt kommen.
Inzwischen haben Hersteller des künstlichen Buttergeschmacks mehr als hundert Millionen Dollar Schadensersatz an erkrankte Mitarbeiter gezahlt. Bereits seit 2001 weisen Studien eine Verbindung zwischen der Erkrankung und der Chemikalie hin. Offiziell wird der Tod eines Menschen auf die Krankheit zurückgeführt.
Weil die Nebenwirkungen teuer sind, suchen die Hersteller fieberhaft nach Ersatzstoffen für das risikoreiche Butteraroma. Doch die Alternativen sind auch nicht besser, wie jetzt die neue Studie ergab.
Die aktuelle Studie der Immunforscher des Nationalen Institutes für Arbeitsschutz und -gesundheit in Morgantown, USA, untersuchte die Popcorn-Folgen bei Mäusen, simulierte bei ihnen die Bedingungen in der Popcorn-Industrie. Die Wissenschaftler brachten dabei die Haut der Mäuse in Kontakt mit den Aromastoffen und ahmten so die Bedingungen in der Herstellung von Fertig-Popcorn nach. Das Ergebnis der Studie: Keine der Substanzen konnte als ungefährliche Alternative eingestuft werden. Sie alle lösen Reizungen aus und allergische Reaktionen.
Die elegante Lösung der Nahrungsindustrie, von einem Popcorn Aroma aufs nächste auszuweichen scheint damit gescheitert: Der künstlicher Buttergeschmack lässt sich den Ergebnissen der neuen Studie nach nicht von den Gesundheitsschäden trennen.
Untersucht wurden vier Substanzen, die als Alternativen für das Standard-Butteraroma Diacetyl gehandelt werden (Im Chemiker-Fachjargon unter den Bezeichnungen 2,3-pentanedione, 2,3-hexanedione, 3,4-hexanedione and 2,3-heptanedione bekannt). Das Problem: Sie alle sind dem Original in ihrem chemischen Aufbau sehr ähnlich – nur so bringen sie einen ähnlichen Geschmack, gleichzeitig aber auch ähnliche Wirkungen im Köper.
Es trifft dabei nicht nur die Beschäftigten in der Popcorn-Fabrik, sondern tatsächlich auch die ganz normalen Fans der aufgeblasenen Maiskügelchen, wie beispielsweise jenen 58jährigen US-Bürger, der sich stolz „Mister Popcorn“ nannte: Wayne Watson aus dem Bundesstaat Colorado. Er liebte Mikrowellenpopcorn über die Maßen, verschlang täglich mindestens zwei Packungen und bezeichnete sich als regelrecht süchtig nach dem süßen Maissnack.
Und er schädigte seine Lunge damit nachhaltig, entwickelte die entzündlichen Bronchienerkrankung, die die Fachwelt auch Popcorn-Lunge bezeichnet. 2012 verklagte er die Popcornindustrie. Den Popcorn-Hersteller warf er vor, sie hätten versäumt, auf den Packungen zu warnen, dass die Dämpfe mit Butteraroma nicht inhaliert werden dürfen. Wayne erstritt in seinem Schadensersatzprozess über 7 Millionen Dollar.
Der Stoff ist natürlich weiter auf dem Markt, auch in Europa.
Die Aromastoffe, bisher völlig ohne Zulassung eingesetzt, werden jetzt sogar von den Behörden begutachtet. Und jüngst hat die EU jetzt sogar einen Aromastoff verboten: Lustigerweise einen, den sogar die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa für völlig irrelevant hält.
Am 22. Mai 2013 hat die EU-Kommission diesen mutigen Beschluss gefasst. Es ging um einen Aromastoff namens „3-Acetyl-2,5-Dimethylthiophen“. Er dient laut Efsa dazu, „Lebensmitteln ein nussiges bis pikantes Röstaroma zu verleihen, und kann auch natürlicherweise in gebrühten oder gekochten Fleisch- und Wurstwaren vorkommen.“
Ein nennenswertes Problem ist der Stoff auch nach Meinung der Efsa-Experten nicht, befanden sie in ihrer Expertise: „Der Stoff wird von wenigen Herstellern produziert und in einer begrenzten Zahl von Lebensmitteln eingesetzt, insbesondere in einigen herzhaften Produkten, Süß- und Feinbackwaren.“ Auch sei „das potenzielle Risiko für Verbraucher, die dieser Substanz möglicherweise über Lebensmittel ausgesetzt waren oder sind, sehr niedrig einzustufen“.
Jahresverbrauch in der gesamten Europäischen Union: 2,3 Kilo.
Weiterhin erlaubt sind in der Europäischen Union jene 2,5 Millionen Tonnen an Aromastoffen und Geschmacksverstärkern, die hier üblicherweise pro Jahr eingesetzt werden.