"Wir werden das prüfen", sagte die Sprecherin der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Staatsanwältin Claudia Krauth, auf Anfrage von DR. WATSON. Die Strafverfolger leiteten ein Ermittlungsverfahren ein wegen des Verdachts der Verbrauchertäuschung.
Es geht um mögliche Verstöße gegen das Lebensmittelrecht. Nach Paragraph 11 des Lebensmittel- und Futtergesetzbuches (LFGB) ist es verboten, „Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung in den Verkehr zu bringen“.
Wer dagegen verstößt, kann mit „Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe“ bestraft werden (Paragraph 59 LFGB).
Bestimmte Verstöße gegen die EU-Aromenverordnung 1334/2008 können nach Paragraph 58 LFGB sogar mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden.
Die Stiftung Warentest hatte Nussschokolade geprüft und der Marke „Ritter Sport“ die Note „mangelhaft“ verliehen – weil sie auf dem Etikett nur „natürliches Aroma“ angegeben hatten, obwohl ein künstlicher Aromastoff enthalten war. Der Schokoladenhersteller reagierte „entsetzt“ auf die Einstufung und verwies auf den Lieferanten, den größten deutschen Aromenhersteller Symrise, und dessen Garantieerklärung für die Lieferung von „natürlichen“ Aromen.
Symrise versicherte, die Firma hätte „ein Vorprodukt abgeliefert, welches komplett der Deklaration entspricht“, sagte ein Sprecher. Es ging um einen Stoff namens Piperonal. Das sei „kein natürliches Aroma“, so die Warentester, auch wenn es auch in der Natur vorkomme – „in geringen Mengen“. Üblicherweise werde „der Stoff“ in der Industrie „auf chemischem Weg hergestellt.“
Natürlich, künstlich: In der Nahrungsindustrie sind die Grenzen da recht fließend. Der Gesetzgeber hat, unter tätiger Mitwirkung der Aroma-Lobby, den Begriff „natürlich“ so weit gedehnt, dass der Begriff „künstlich“ mittlerweile entbehrlich ist. In der aktuell gültigen Aromaverordnung der EU kommt das Wort "künstlich" gar nicht mehr vor.
Der Ritter-Sport-Aromenlieferant Symrise hat sich beispielsweise ein Verfahren patentieren lassen, bei dem Bakterien vom Typ Pseudomonas bei der Produktion von Vanillegeschmack mitwirken (Patent EP 0583 687 B1).
Die Bakterien aus dieser Familie sind völlig natürlich, in der Natur sogar allgegenwärtig, sie gelten als „Pfützenkeim“, sind aber nicht nur im Wasser, auch im Boden anzutreffen. Die Pseudomonas-Bakterien, deren Ausscheidungsprodukte zur Vanillegeschmacksherstellung Symrise patentieren ließ, hatte jemand in einer Bodenprobe aus Indonesien entdeckt. Sie wurden auf den Namen "Pseudomonas sp.nov." getauft und unter den Nummern DSM 7062 sowie DSM 7063 bei der Deutschen Sammlung für Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH in Braunschweig registriert.
Mit solchen Bakterien können auch „Reststoffe“ wie Getreidekleie und Zuckerrübenmelasse zu einem „natürlichen“ Produkt „upgegradet“ werden, so eine österreichische Regierungsstudie.
Beliebt bei der Produktion von Vanillegeschmack sind auch die Abwässer aus der Papierindustrie, zeitweilig wurde 60 Prozent des weltweiten Vanillinbedarfs aus den Abwässern einer einzigen kanadischen Fabrik gedeckt, Ontario Pulp and Papers.
Das Vanillin, wichtigster Geschmacksstoff der globalen Nahrungsindustrie, gilt unter Lebensmittelkontrolleuren seit langem als „Betrugsmolekül“.
Die Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft könnten zur Klärung der Verantwortlichkeiten bei der Verbrauchertäuschung durch Aromen beitragen. Mit einem schnellen Abschluss des Verfahrens ist nach Auskunft von Sprecherin Krauth indessen nicht zu rechnen.
Mehr über Aromen und die Tricks der Nahrungsindustrie:
Hans-Ulrich Grimm
Die Suppe lügt
Knaur Taschenbuch, € 8,99
ISBN: 978-3-426-78076-3