Begründung des Gerichts: Die Klage sei unzulässig, weil die beiden „weder unmittelbar noch individuell betroffen“ seien.
Die beiden Kläger: Sie sind keine Konzerne, für deren Werbesprüche die Gesundheits-Atteste der europäischen Behörden normalerweise genutzt werden. Moritz Hagenmeyer ist Honorarprofessor an der Universität Hannover, Andreas Hahn ist an der gleichen Universität Professor der Ernährungswissenschaft.
In einem aufwändigen, sechs Jahre dauernden Verfahren wiesen die zuständigen Experten des vereinigten Europa mit viel Mühe und penibler juristischer Feinarbeit nach, dass das wichtigste Lebensmittel, ohne das kein Mensch auch nur ein paar Tage überleben kann, keinen besonderen gesundheitlichen Wert hat, jedenfalls nach den Vorschriften der einschlägigen EU-Verordnung 1924/2006.
Die Forderung nach einem Gesundheits-Attest für Wasser habe „nicht den Anforderungen“ der einschlägigen Verordnung „entsprochen“, so dass zuständige Expertengremium der europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa im italienischen Parma, auf die sich der Gerichtshof stützte.
Antragsteller Hahn fragt sich angesichts des Urteils, welchen Sinn ein „Gesetzesmonster mit riesigem administrativen Aufwand erfüllt“, wenn es Gesundheitsangaben „verbietet, die wissenschaftlich unumstritten sind.“
Der Professor aus Hannover meint: „Ganz offenbar ist der Gesetzgeber hier weit über das Ziel hinausgeschossen: Er wollte verständlicherweise irreführende Angaben verbieten, verbietet nun aber faktisch auch Dinge, die für den Verbraucher und dessen Gesunderhaltung bedeutsam sind.“
In der Vergangenheit war das zuständige Gremium nicht immer so streng bei seinen Entscheidungen: Etwa wenn es um cholesterinsenkende Margarine wie Unilevers Becel pro.activ geht.
Die Behörde winkte die Werbesprüche zu angeblich herzschützenden Effekten der Margarine problemlos durch – und ignorierte dabei kurzerhand die wissenschaftlichen Nachweise über herzschädigenden Wirkungen der angepriesenen Margarine, ausweislich der Literaturliste der Efsa-Entscheidung.
Dabei ist der jetzt abgelehnte Werbespruch für Wasser eigentlich nicht von der Hand zu weisen. Wasser schützt vor Austrocknung. Oder genauer formuliert, wie im Antrag der beiden Hannoveraner:
„Regelmäßiger Verzehr signifikanter Mengen von Wasser kann das Risiko für die Entwicklung von Dehydratation und damit einhergehendem Leistungsabfall deutlich senken“.
Die Efsa-Experten waren damit nicht so ganz zufrieden, wie das Gericht jetzt unter Aufbietung bemerkenswerte juristischen Feinsinns darlegte:
So sei „darauf hinzuweisen, dass der Wasserverlust im Gewebe, wie die Kommission vorgetragen hat und wie auch aus der wissenschaftlichen Stellungnahme der EFSA vom 28. Januar 2011 hervorgeht, keinen Risikofaktor für die Krankheit „Dehydratation“ darstellt, sondern eher den Zustand der Dehydratation und das Bestehen dieses Zustands entsprechend dem festgestellten Wasserverlust beschreibt.“ (Absatz 88 der Entscheidung vom 30. April 2014).
Weniger penibel in ihren Anforderungen waren die Efsa-Experten, als es einmal um die Gefahren durch Zuckerverzehr ging.
Damals fiel das Urteil überraschend wohlwollend aus. Die Efsa-Experten beschäftigten sich ausgiebig mit Zucker und anderen Kohlenhydraten. Sie mochte sich dann aber nicht zu direkten Empfehlungen durchringen, einer Beschränkung des Zuckerverzehrs oder gar zu einem Höchstwert für Zucker.
Grund: „Dem Gremium liegen nicht genügend Belege vor, um eine Obergrenze für Zucker festzulegen.“ Es gebe eigentlich auch gar keine direkten Folgen des Zuckerverzehrs für die menschliche Gesundheit. Übergewicht? Herzkrankheiten? Diabetes? Kein zwingender Zusammenhang, so das Urteil.
Die wohlwollende Beurteilung solcher Sachverhalte führen Kritiker darauf zurück, dass die Efsa-Experten eine gewisse Nähe pflegen zu einschlägigen Industriekreisen.
So war es auch bei den Mitgliedern der Zuckerrunde: Der Mailänder Professor für Kinderheilkunde Carlo Agostoni war beraterisch für Ferrero tätig. Der Pariser Ernährungswissenschaftler Professor Jean-Louis Bresson bekam Forschungsförderung von Danone sowie den Pharmakonzernen Novartis und Sanofi. Die britische Ernährungsforscherin Susan Fairweather-Tait erhielt Forschungsförderung von Unilever, fungierte als „Scientific Governor“ bei der British Nutrition Foundation, die getragen wird unter anderem von British Sugar, Tate & Lyle Sugars, der Ketchupfirma Heinz, dem Schokoriegelkonzern Mars, von Coca-Cola, Pepsi-Cola, Kellogg, Nestlé, Unilever.
Der nordirische Ernährungschemiker Professor Sean (J.J.) Strain, war Mitglied im Aufsichtsrat bei der Industrielobbyvereinigung International Life Sciences Institute (Ilsi), Berater beim Pringles-Konzern Procter & Gamble, auch bei Danone, und er bekam Forschungsförderung von Nestlé sowie vom holländischen Zusatzstoffkonzern DSM.
Der Vorsitzende, der irische Professor Albert Flynn von der Universität Cork, gab eine ganze Reihe von Verbindungen zur Industrie an: Verwaltungsratsmitglied beim Lobbyverband Ilsi, Mitglied des Gesundheits- und Wellness-Beraterkreises beim Milka-Mutterkonzern Kraft, er bezog Forschungsförderung von Danone, von Kellogg und von Masterfoods. Flynn war auch dabei gewesen bei einer Tagung der Lobbytruppe World Sugar Research Organisation (WSRO) im Luxushotel “The Breakers” in Palm Beach, Florida. (siehe Hans-Ulrich Grimm
Garantiert gesundheitsgefährdend. Wie uns die Zuckermafia krank macht.)
Es waren die gleichen, die die Gesundheitsansprüche für das wichtigste Lebensmittel Wasser so wortreich abgeschmettert haben.
Wahrscheinlich war ihnen das schlichte Wasser einfach nicht süß genug.
Mehr über echte und vermeintliche Gesundheitswirkungen von Lebensmitteln:
Hans-Ulrich Grimm
Vom Verzehr wird abgeraten.
Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht
Droemer Verlag
320 Seiten Klappenbroschur € 18,00
ISBN 3-426-27556-2
ISBN 978-3-426-27556-6