Die kleine Klinik liegt in einer Nebenstraße der chinesischen Millionenstadt Changchun in der Provinz Jilin, etwa 800 Kilometer nordöstlich von Peking. Autos hupen, Fahrräder schlängeln sich durch den Verkehr. Schräg gegenüber eine Backsteinkirche, viele kleine Garküchen, Gemüseläden, ein Friseur und eine Reinigung. Auf dem Gehweg bietet ein mobiler Schuster seine Dienste an.
2000 Patienten kommen im Jahr zum Abnehmen hier her in die Klinik, ambulant oder stationär. Oft sind es 100 Leute am Tag. Im Treppenhaus sind sie zu sehen, moppelige Frauen, meistens jüngere, einige im Teenager-Alter. Immer wieder Jungs, Riesen, stark und kräftig, manche wie Ringer, einige wie Sumo-Ringer. Nicht unbedingt schwammig-schwabbelig, wie die Dicken in den USA, eher stark und kräftig.
Zhu Lei war 16 Jahre alt, als er kam. Er hatte von den Erfolgen der Ärzte in dieser Klinik gelesen und meldete sich aus eigenem Antrieb an. Der Junge war, auch nach eigener Einschätzung, ein besonders schwerer Fall: 217,5 Kilogramm hat er gewogen, als er sich zur Behandlung entschloss.
Der Leidensdruck war groß: "Bluthochdruck hab ich gehabt, und auch eine Fettleber. Dazu kamen die Hänseleien: "Natürlich hab ich auch in der Schule Druck gehabt. Die haben mich Fettsack genannt."
Zhu Lei ist immer noch von massiger Gestalt, er redet aber ganz leise, hat einen leichten Bartflaum auf der Oberlippe, er trägt ein weißes T-Shirt mit dem Namen der Klinik, eine blaue Trainingshose und Turnschuhe.
Er hat einfach zu viel gegessen, sagt er selbstkritisch. Vor allem Reis und Kartoffeln, aber auch Fleisch. Morgens, mittags, abends. Vielleicht war es der Kummer, zumindest mittags war er, da er keine Geschwister hat, immer allein. Irgendwann hat er dann das Gefühl für das rechte Maß verloren: "Ich habe nie so viel Hunger gehabt. Ich wollte einfach essen, immer nur essen."
Damit ist er ein ganz typisches Beispiel für die jungen Patienten. Viele haben das Gespür für ihre Körpersignale verloren. So wie Zhu Lei. Er unterscheidet sich aber auch von den anderen Jugendlichen: Die meisten Dicken kommen eher aus Städten, häufig aus der Oberschicht. Und bei 50 Prozent der kleinen Moppel in dieser Klinik spielt Fast Food eine Rolle. McDonald's breitet sich überall im Land aus, Burger King, Pizza Hut, Kentucky Fried Chicken.
In China gilt Übergewicht als nationale Bedrohung. Täglich wird in den Zeitungen über Statistiken und Gegenmaßnahmen berichtet. Dabei sind Dicke kaum zu sehen: Im Vergleich etwa zu den USA, wo in vielen Städten vorwiegend Fette durch die Straßen walzen, sind die meisten Chinesen nach wie vor schlank, ja dünn.
Nach einer Statistik, die in der britischen Medizinzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde, sind 18 Millionen Chinesen fettleibig und 137 Millionen übergewichtig - was bei 1,3 Milliarden Einwohnern nicht sehr viel ist: Über eine solche Quote von etwa 10 Prozent könnten sich Amerikaner oder Briten oder Deutsche freuen.
Es ist die rasante Entwicklung, die in China den Ärzten und Behörden Anlass zu Sorge gibt. Zudem sind es vor allem Kinder, die dick werden. Und es werden immer mehr. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, sagen die Ärzte, wächst eine Generation von Lahmen und Kranken heran.
Die Klinik hier gilt daher dank ihrer aufsehenerregenden Erfolge als modellhaft. Die Ärzte setzen dabei auf drei Säulen: Erstens die Methoden der Traditionellen Chinesischen Medizin: Akupunktur etwa und eine Mischung aus verschiedenen Pflanzen-Essenzen, die auf den Bauch aufgetragen wird. Im 5-Bett-Zimmer auf der Jungs-Station liegt so ein junger Sumo-Typ, lauter kleine Nadeln im Rücken, an den Waden, an den Armen. Der Fernseher läuft, zeigt ein Spiel der amerikanischen Basketball-Liga NBA.
Wichtiger Bestandteil der Behandlung ist auch die Rationierung des Essens: Sie dürfen alles essen, aber nur in begrenzten Mengen. Und schließlich müssen sie Sport treiben: In der obersten Etage gibt es ein kleines Fitness-Studio, mit Laufband, verschiedenen Trimmgeräten und einem Schreibtisch, an dem die Oberschwester sitzt und die Statistik über die Trainingseinheiten führt. Sie heißt Yang Hongguang und wirkt sehr freundlich und gar nicht streng. Sie sorgt auch für die Sittlichkeit und dass zwischen Buben und Mädchen nichts läuft: "Ich passe auf die Jungs und Mädchen auf."
Sie hat erst vor drei Monaten hier in der Klinik angefangen, das Haus wurde ihr empfohlen:."Hier sei die Behandlung so gut."
Zhu Lei will noch zwei Monate bleiben. Die Klinik tut ihm sichtlich gut: "Ja, ich fühl mich jetzt besser." Er will noch ein paar Kilo runterkriegen. Und dann freut er sich darauf, seine Eltern wieder zu sehen. Und dass ihn die Mitschüler nicht mehr Fettsack nennen.