Das Ehepaar Kapussi hat einen idealen Platz für seinen kleinen Stand: Direkt an der Bushaltestelle, an der Uferpromenade in Tongas Hauptstadt Nuku'alofa. Frau Sia bearbeitet mit einem scharfen Hackmesser die Kokosnüsse, Gatte Paki verkauft sie, und die Packungen mit den Instantnudeln. Einen Tonga-Dollar kosten die kleinen Nüsse (0,40 Euro), 1,50 die großen. Und 80 Cent die Packungen mit den Instant-Nudeln, sie kommen aus Indonesien, Marke "Happy Mie".
In den Läden der Stadt gibt es auch die 2-Minuten-Nudeln von Maggi im Plastikpack, die hiesige Version der 5-Minuten-Terrine. Es gibt japanische Instant-Nudeln, Marke Nissin "Top Ramen", neuerdings auch chinesische Päckchen, Marke "Aufgehende Sonne".
Die Globalisierung ist angekommen im Königreich Tonga. Gesund scheint sie nicht zu sein.
So sieht es jedenfalls Dr. Malakai Ake. Er arbeitet im Krankenhaus der Hauptstadt, ist für die öffentliche Gesundheit ("Public Health") zuständig, kooperiert auch eng mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO). In seinem Büro stapeln sich wissenschaftliche Studien, Statistiken. Er arbeitet an seinem Laptop.
"Früher starben die Leute an Tuberkulose, Typhus und Unterernährung", sagt Dr. Ake. "Heute haben wir uns neue Probleme geschaffen". Die vier "Top-Killers", die wichtigsten Todesursachen in Tonga seien: Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Diabetes, Krebs. Die Krankheitsraten stiegen parallel zu den Lebensmittelimporten, sagte mir der Doktor schon bei meinem ersten Besuch in Tonga vor zehn Jahren.
Gilt das alles heute noch? Ja, sagt Dr. Ake. Die Diabetesraten in der Bevölkerung sind sogar noch weiter angestiegen, liegen jetzt bei knapp 20 Prozent. Die Zuckerkrankheit hängt nach gängiger Lehrmeinung eng mit dem Übergewicht zusammen. Tatsächlich sind sie hier ziemlich mollig - aber das waren die Leute hier schon immer:
"Damals war es ein gesundes Übergewicht", sagt Ake. "Sie hatten keinen Bluthochdruck, sie hatten keinen Herzinfarkt. Früher aßen die Leute nur Obst und Gemüse, allenfalls Fisch; und Fleisch gab es nur sonntags. Aber jetzt essen sie jeden Tag Fettiges. Sie essen das Falsche und trinken das Falsche. Heute gibt es kein gesundes Übergewicht mehr."
Früher fuhren die Tonganer mit dem Kanu tausende von Kilometer durch den Pazifik, nach Fidschi, nach Samoa. Da war es von Vorteil, wenn einer ein bisschen kräftiger war und auch über Reserven verfügte. Damals ist das Schönheitsideal entstanden, das heute noch gilt. Dicke Frauen sind schön, dicke Männer sind schön, und alle zusammen wollen schön fette Babies.
Jetzt mästen sie sich mit Instantnudeln, mit "Pringles"-Kartoffelchips, mit Dosenfleisch. Die industriellen Inhaltsstoffe aber haben völlig andere Auswirkungen auf den Körper als Kokosnüsse, als Paprika, Karotten, Kartoffeln, als Ananas und all die Sachen, die es auch in der Markthalle im Zentrum der Hauptstadt immer noch gibt, im Überfluss.
Die Kontrolle über die neuen Nahrungsmittel ist den Behörden völlig entglitten. Zwar gibt es in einem ordentlichen Königreich Zahlen über die Importe: Sie stiegen nach den Daten des "Statistic Departments" allein bei den Instantnudeln von 1996 bis 2006 von 271 auf 664 Tonnen, bei den Snacks, Chips und dergleichen, von 99 auf 341 Tonnen.
Aber welche künstlichen Zutaten das Volk damit verzehrt, entzieht sich der Kenntnis der königlichen Beamten: "Über Zusatzstoffe wissen wir nicht viel", räumt Eva Mafi ein, der im Büro neben Dr. Ake arbeitet. Er ist "Health Promotion Officer", angestellt beim Gesundheitsministerium und für Aufklärung sowie Vorbeugung zuständig. Er trägt ein blaues Hemd und einen blauen Rock, wie das auch bei den Männern hier Sitte ist; sie können offenbar auch Eva heißen. Es ist ja das andere Ende der Welt.
Und dennoch ist es von einer Globalisierungswelle überrollt worden, mit den Erzeugnissen der weltweit operierenden Food-Industrie. Kolonie war das kleine Königreich noch nie in der Geschichte, war immer souverän. Doch bei der Nahrung sind die stolzen Tonganer jetzt fremdbestimmt: Der kleine 100.000-Einwohner-Staat ist völlig außerstande, die ganzen Chemikalien zu kontrollieren, mit denen die Industrie ihre Produkte haltbar macht, mit Geschmack und Farbe versieht.
Das ist ja sogar im großen Europa nicht viel anders, wo die staatlichen Aufseher auch oft nicht wissen, was so alles in den Packungen aus dem Supermarkt enthalten ist, wie etwa das Leichtmetall Aluminium in bunten Süßigkeiten wie Smarties und M&Ms (siehe DR. WATSON NEWS vom 08. Juni 2006).
Oder in China, wo es nicht einmal gesetzliche Vorschriften gibt über den Einsatz der chemischen Zuatzstoffe in der Nahrung. Gleichwohl werden die Produkte rund um den Globus verzehrt, in Europa, in der Südsee.
Im Königreich Tonga haben sie immerhin Gesundheitsprogramme eingeführt, sie betreiben sogar so eine Art Nahrungspolitik. Sie haben sich, sagt Gesundheits-Officer Mafi, dafür eingesetzt, dass gesunde Sachen billiger werden und ungesunde teurer. Sie haben sich auch schon an das Nationale Nahrungs- und Ernährungskommitee gewandt, welches die Regierung berät. "Es gäbe da vieles, was zu tun wäre", sagt der Präventions-Experte. Man könnte zum Beispiel eine Steuer auf Importnahrungsmittel einführen.
Geschehen ist da allerdings bis jetzt nichts. Das könnte vielleicht damit zusammenhängen, dass die Familie des Premierministers im Lebensmittelbusiness tätig ist, sie betreibt eine namhafte Firma mit Groß- und Einzelhandel. In ihrem Supermarkt gibt es Pringles-Chips und Maggi-Instantnudeln.
Modell Tonga: Es zeigt, dass überraschenderweise das Thema Fertignudel oder Kokosnuss auch eine Machtfrage sein kann.