Dessen Beschlüsse gelten auf der ganzen Welt. Diese Woche tagt das Gremium für Zusatzstoffe, im Großen Bankettsaal des Hotels Asia in Peking. Es ist das weltweit maßgebliche Beschlussgremium, wenn es um die chemischen Zusätze in Lebensmitteln geht, um das, was erlaubt sein soll und was verboten und wieviel die Food-Konzerne ins Essen mischen dürfen.
Viele Zusatzstoffe sind ja in letzter Zeit sehr in die Kritik geraten. Sogar Regierungstellen sprachen sich, wie jüngst in Großbritannien, gegen besondes gefährliche Farbstoffe aus, weil sie bei Kindern zu Hyperaktivität führen könnten. Der Süßstoff Aspartam geriet wiederholt unter Beschuss, weil er nach Ansicht mancher Wissenschaftler zu Hirntumor führen kann. Und der Geschmacksverstärker Glutamat ist umstritten, weil er dick machen und im Übermaß angeblich sogar das Gehirn schädigen kann.
Reichlich brisanter Stoff also für eine Auseinandersetzung im globalen Stil, auf der Konferenz in Peking.
Dicker Teppichboden, Strahler an der Decke, auf den Tischen Computer, die Delegierten tragen Kopfhörer für die Simultanübersetzung. 262 Delegierte sind es insgesamt, aus 62 Nationen. Erstaunlicherweise sind sie von allen Auseinandersetzungen um die Chemie im Essen seltsam unberührt geblieben.
Da könnte daran liegen, dass viele Delegierte von der Nahrungsindustrie entsandt sind.
Der Laie würde annehmen, dass bei einer Konferenz der Vereinten Nationen die Regierungsvertreter im Plenum sitzen und die Industrie-Lobby unter den Zuhörern. So stellen sich ahnungslose Demokraten die Welt vor - vielleicht ein bisschen idealistisch. Wenn es um die Nahrung geht, sind die Food-Konzerne offizielle Mitglieder der Regierungsdelegationen und sitzen mit am Tisch.
In der deutschen Gesandtschaft zum Beispiel sitzt ein Vertreter des Südzucker-Konzerns, zusammen mit drei Regierungsvertretern.
In der Delegation der Schweiz haben die fünf Industrie-Lobbyisten eine erdrückende Mehrheit gegenüber den zwei Regierungsvertretern. Der Nahrungs-Multi Nestlé ist dabei und der Aromenproduzent Givaudan. Auch ausländische Konzerne sind offizielle Schweizer Delegierte: der holländische DSM-Konzern, der in seiner Schweizer Filiale Vitamine produziert, und der japanische Gigant Ajinomoto, Weltmarktführer bei Glutamat.
Es wäre nun interessant zu wissen, nach welchen Gesichtspunkten so eine eidgenössische Delegation zusammengestellt wird, ob ein kleiner Bäcker oder Metzger auch mitfahren darf, oder ob es eine gewisse Mindest-Konzerngröße braucht. Leider hat die Schweizer Delegationsleiterin keine Zeit für ein Gespräch.
Einer aus der Schweizer Delegation gibt netterweise Auskunft. Für wen er spricht? „Das kommt drauf an, wer mich bezahlt“, sagt er ganz offen. Er ist als Berater tätig. Wer seine Auftraggeber sind? Das möchte er nun lieber nicht sagen.
Immerhin sagt er, worum es hier geht: „Es geht nur um Interessenskonflikte“, sagt er. Zum Beispiel würde die Soja-Industrie gern ihre Getränke „Milch“ nennen, die Milchindustrie ist dagegen. Dann muss man sich irgendwie einigen: „Zum Schluss muss ein Konsensus erreicht werden.“ Denn abgestimmt wird üblicherweise nicht, weswegen es auch keine große Rolle spielt, dass nach den Vorschriften nur die Regierungsvertreter stimmberechtigt sind.
Die Interessen der essenden Menschen auf der Welt spielen bei diesem Kuhhandel zwischen verschiedenen Industriefraktionen keine größere Rolle. Das wird in Peking deutlich, als ein freundlicher Herr aus den hinteren Reihen das Thema Aspartam anspricht. Der Süßstoff sei doch umstritten, und er plädiere für eine kritischere Bewertung durch das offizielle Gremium der Vereinten Nationen.
Er wird ganz kurz abgefertigt: Zu dem Süßstoff gebe es keine aktuellen wissenschaftlichen Daten, die eine Neubewertung rechtfertigten, sagt die Dame auf dem Podium, eine sympathische Frau mit grauem Kurzhaar und vorwärtsdrängendem Temperament. Sie arbeitet für das Expertenkomitee der Weltgesundheitsorganisation („Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives“, kurz „JECFA“) repräsentiert mithin den globalen wissenschaftlichen Sachverstand und speist sozusagen die ultimative, unumstößliche Faktenlage ein. Früher war sie beim Food-Konzern Nestlé.
Ob er sich mehr erwartet hätte? Nein, sagt der Mann, ein Anwalt aus San Francisco mit rundem Haarkranz und ruhiger Stimme. „NHF“ steht auf seinem Schlld, „National Health Federation“. Ihm war es nur wichtig, dass auch mal die Position der Verbraucher zur Sprache komme: „Immerhin bin ich hier die einzige Konsumentenorganisation, die sich zu Wort meldet.“
So ganz allein ist er nicht: Es gibt noch zwei Verbrauchervertreter aus Japan, die sich allerdings eher still verhalten.
Die Aspartam-Kritik des Amerikaners wird immerhin zu Protokoll genommen. Dann nimmt die Konferenz weiter ihren Lauf, in großer Harmonie.