Uuuuuaaaaaaah! Sie sind unter uns. In meinem Kühlschrank! Smoothies. Das Obst der dritten Art. Praktisch. Püriert. Haltbar. Wer hätte das geahnt? Meine erste Begegnung mit ihnen hatte ich in einer Apotheke. Da stand plötzlich ein star-trek-mäßiger High-Tech Kühlschrank in silber-metallic. "Gekühlte Hustensäfte?" fragte ich die Apothekerin. "Nein: true fruits" So heißen die futuristischen Drinks. Flaschenaufschrift: "100% Frucht - no tricks". Strahlend drückte sie mir einen schicken Werbezettel für das hippe Fruchtpüree aus dem sonnenverwöhnten Brasilien in die Hand. Die gläsernen Fläschchen tragen coole Namen: die gelbe Variante des Fruchtpüree heißt "Sunnyboy", "Die Königin" nennt sich ein lilafarbener Beerenmix, der spezielle Entgiftungssmoothie trägt den bedeutungsschwangeren Beinamen "Der Mythos". Aber die Fruchtmischung in rosé namens "Die Diva", bringt es wohl auf den Punkt: "Der Traum aus 21 frischen Himbeeren und einer halben Banane ist der stilvolle Begleiter für jede Gelegenheit". So sieht's aus: Smoothies sind in! Irgendwie fühlte ich mich plötzlich verdammt banal mit meiner Tüte voller Äpfel am Handgelenk. Ich kam gerade vom Markt.
Smoothies in der Apotheke, Smoothies in der Tankstelle, Smoothies von Schwartau und von Knorr, von Granini und Chiquita, von Möwenpick und Söbbecke, von Aldi, Lidl, Penny, Plus. Da gibt es den Fruchtmix Erdbeer Orange Marke Fuit2day im Plastikpack von Schwartau oder Graninis Fruchtgenuss Erdbeere-Himbeere-Banane aus 35% Apfelsaft und 13% Apfelmark und 4% Apfelstücken, Orange Banane Karotte kommen zusammen im Knorr Vie. Das erinnert mich an pasteurisierte Babygläschen oder Dopingcocktails. Die echte Frucht von Bäumen und Sträuchern, Obstwiesen und duftenden Erdbeerfeldern gerät dabei ganz in Vergessenheit. Das Obst der dritten Art erscheint potenter und gesünder als der alte Natur-Kram. So sind die Kids von heute dankbar, wenn Mama ihnen statt Banane den Fruchttiger Snack in der quietschbunten Quetschpackung mitgibt. Dann sieht man auch nicht so, dass das was Gesundes ist.
Gesund: Darum geht es eigentlich beim großen Thema Smoothies "To smooth or not to smooth": Fein, sämig, cremig - so etwa übersetzt man das englische Wort smooth. Aber auch besänftigen, glätten, spachteln, ausräumen, ebnen und vieles mehr.
Ob sie uns den Weg ebnen zu unendlicher Gesundheit?
Für die Leute sind die Smoothies der Inbegriff des Gesunden. "Super! Mit nur einer Flasche gleich zwei Portionen Obst auf einmal!" Das lässt sich schnell erledigen. Noch morgens vor der Blutdrucktablette. Das ist irgendwie so weit weg vom echten Essen. Nun gut, Hippokrates schon forderte: "Die Nahrungsmittel sollen unsere Heilmittel - und die Heilmittel unsere Nahrungsmittel sein." Ob die alten Griechen wohl auch an Apfelmatsch in Amphoren glaubten?
Hat die Industrie unsere Mutter Natur tatsächlich übertrumpft ins Sachen Gesundheit? Oder ist sie nur besser im Marketing? "So lecker wie Eis, so bunt wie Limonade und so gesund wie Obst", so beschreibt es eine Fachzeitschrift der Getränkeindustrie. Ist es wirklich genauso gesund?
Skeptisch sind die Zahnärzte. Denn die flüssigen Smoothie-Fruchtmischungen attackieren die Zähne geradezu im Doppelangriff: Sie enthalten extrem viel Zucker und dazu noch Säure.
Nach neuesten Untersuchungen, so liest man in Journalen aus dem Zahnarztmilieu, wirkt der Zucker bei gleicher Menge Frucht im verarbeiteten Obst aggressiver und führt zu sogenannten Dentalerosionen. Der Zahnschmelz wird weggespült durch die Smoothiewelle.
Und nicht nur Zahnärzte sehen den süßen Boom kritisch. Auch die Allgemeinmediziner haben an dem Obst zu knabbern. Eine steigende Zahl von Diabetiker muss lernen, dass Obst zwar gesund ist, aber eben auch den Blutzucker pusht.
Immer mehr Menschen vertragen jetzt auch keinen Fruchtzucker mehr, auf Obst reagieren sie mit Blähbauch, Durchfall und Darm-Rumoren. Fruktose-Intoleranz heißt das dann. Für alle diese Menschen ist es überhaupt nicht erstrebenswert, sich möglichst viel Frucht handlich, praktisch und in möglichst kurzer Zeit einzuverleiben.
Die smoothen Drinks treten dabei auf, als ob sie von den Ernährungswissenschaftlern quasi amtlich empfohlen werden. Knorr Vie zum Beispiel versichert, es helfe "auf einfache Art und Weise, 50% Ihres täglichen Bedarfs an Obst & Gemüse zu decken", Schwartaus Fruit2day geht aufs Ganze mit der Formel "100% der täglichen Portion Obst = 1 x Fruit2day". Auf praktisch jeder zweiten Plastikpackung prangt das Logo der Initiative 5 am Tag, einer weltweiten Werbekampagne für mehr Obst und Gemüse, organisiert von den großen Frucht-Multis, Supermärkten und dem Abspeck-Konzern Weight-Watchers.
Das ampelfarbige 5 am Tag-Logo scheint seine Wirkung zu entfalten. Von der Fruit2day Werbung strahlt es wie ein Leuchtturm für schiffbrüchige Gesundheitsfans, eine Verheißung des Guten Gewissens. Schließlich rät auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu 5 am Tag. Aber 5 mal Smoothies?
Die Wissenschaft distanziert sich sanft: Dr. Bernhard Watzl vom Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe sagt gegenüber Ökotest, "Smoothies", seien leider kein echter Obst-Ersatz: Man müsse erst mal "untersuchen, ob Smoothies im Körper wirklich die gleichen Effekte haben wie Frischobst. Auf jeden Fall liefern sie viel Fruchtzucker in kurzer Zeit ". Und Fruit2day liefert dann auch noch eine Extraportion Aroma aus dem Labor - gefälschter Geschmack mit jedem Schluck.
So ganz das Wahre scheint das Kunstobst also nicht zu sein. Es ist aber auch eine merkwürdige Erscheinung: püriert, pasteurisiert und unnatürliche fünf Wochen haltbar. Welche Banane schafft das schon? Sich zermatschen lassen und dann fünf Wochen im Kühlschrank überleben? Mir ist diese keimfreie Obstmansche schlichtweg unheimlich. Zu viel steril ist auch nicht gut. "Dreck reinigt den Magen" hat uns Oma Vera immer gesagt.
Ich denke, ich lade meine Mitbewohnerin einfach ein auf die nächste Erdbeerplantage. Nach dem Selberpflücken und noch mehr Selberessen kommen wir bestimmt mit sonnenverwöhnten Sinnen, dreckigen Händen und körbeweise frischen Früchten zurück. Und dann wollen wir ja mal sehen, wieviel Platz noch bleibt im Kühlschrank für das Obst der dritten Art.