In Werbespots, Plakaten, Pressemitteilungen verkündet Coca-Cola die Sensation. Ein Geheimnis wird gelüftet: Das legendäre Rezept für das braune Getränk aus Amerika!
"Mit der neuen Kampagne wollen wir ein falsches Bild über Coca-Cola in den Köpfen vieler Verbraucher korrigieren", sagt laut Pressemitteilung der Cola-Mann Thomas Gries, er ist "Marketing Director Sparkling Beverages" in der Deutschlandfiliale des US-Soft-Drink-Giganten: "Deshalb setzen wir auf Transparenz und Information."
Tatsächlich war das Getränk weltweit in die Kritik geraten: Als Zuckerbombe, als Knochenkiller, mancherorts auch als Symbol des expansiven US-Kapitalismus. Viele wissenschaftliche Studien widmeten sich der braunen Limo, brandmarkten sie als Dickmacher. Zahlreiche Jungforscher prüften das Gerücht, Cola könne Fleisch, ja Beefsteaks zersetzen, pfiffige Hausfrauen fanden sogar völlig neue Einsatzmöglichkeiten: Die amerikanische Hausfrauenratgeberin Mary Ellen empfiehlt Cola beispielsweise als WC-Reiniger: »Nachdem es ein bißchen gewirkt hat, wird das WC-Becken strahlend sauber sein.«* ("Der fliegende Pfannkuchen. 999 praktische und ungewöhnliche Küchentipps für sie und ihn").
Coca-Cola ist mithin eine vielseitige Flüssigkeit mit erstaunlichen Fähigkeiten. Nur eines hätten wohl die wenigsten Cola-Freunde vermutet: Dass der Drink irgendwas mit Natur zu tun haben könnte.
Dochdoch, ruft jetzt die Firma. Schon zu Zeiten von Dr. John Pemberton, dem Apotheker, der Coca-Cola vor 122 Jahren erfand und nach den "besten Zutaten" für sein "Stärkungsgetränk" (Coca-Cola-PR-Text) suchte. Bis heute werde Coca-Cola immer noch mit den gleichen Zutaten hergestellt, wie John Pemberton es vorsah. Fazit: "Von Anfang an natürlich".
Natürlich? Laut Etikett enthält Coca-Cola unter anderem "Aroma" und "Phosphorsäure". Die üblichen Ingredienzen aus dem Chemikalienhandel. Oder sprudeln solche Zutaten direkt aus der Coca-Cola-Quelle irgendwo im Wald bei Atlanta im US-Bundesstaat Georgia?
Es wäre ein gefährlicher Wald, in dem Phosphorsäure sprudelt. Ganz so einfach ist es auch nicht. Der Rohstoff dafür sei Phosphaterz, teilt die deutsche Coca-Cola-Zentrale auf Anfrage von DR. WATSON mit. Und: "Natürlich muss dieses für die Verwendung in Coca-Cola aufbereitet werden."
Also ein ganz normaler Job für eine Chemiefabrik.Im Klartext: Der Rohstoff Phosphaterz ist natürlich, die Phosphorsäure für die Cola eher nicht. Da muss vorher der Chemiker ans Werk.
Ähnlich verhält es sich mit dem "Aroma". Enthalten sei unter anderem "Aroma Koffein", das "naturidentisch hergestellt wird."
"Naturidentisch" bedeutet in der Sprache der Lebensmittelkennzeichnungs-Lyrik: Vollkommen chemisch. Man nehme handelsübliche Chemikalien, die irgendwo in der Natur auch vorkommen, in einem Misthaufen, einem Felsklotz, und schreibe dann "naturidentisch" aufs Etikett.
Die genaue Zusammensetzung der Geschmackschemikalien dürfe er "leider nicht verraten", teilt der PR-Mann von Coca-Cola mit. Nur so viel noch: "natürliche Aromen" seien auch dabei.
"Natürliche Aromen", darunter sind bekanntlich jene, die aus Sägespänen gewonnen werden, oder aus Fischabfällen, manchmal auch aus den Ausscheidungen von Bakterien, die dann hinterher nach Erdbeeren, Himbeeren, Pfirsich schmecken.
So lassen sich aus der bunten Welt der Natur viele Stoffe gewinnen. Nach der Coca-Cola-Interpretation ist auch Benzin pure Natur, da aus dem natürlichen Erdöl gewonnen. Oder Plastiktüten: Natur pur.
Der erweiterte Naturbegriff von Coca-Cola. Natürlich, künstlich? Die Grenzen sind heutzutage fließend.Die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge infolgedessen auch.
Die Plakate und Werbespots der Coca-Cola-Kampagne sind immerhin ganz klar auf der Seite der Wahrheit: Sie zeigen eine klassische Cola-Flasche, und darunter der Text: Ohne zugesetzte Konservierungsstoffe. Ohne künstliche Aromen. Seit 1886."
Nichts als die Wahrheit, von hoher Transparenz: Die Flasche ist leer. Sie enthält nichts als Luft. Vermutlich heiße Luft.