Im Zentrum des Interesses steht ein Stoff namens Bisphenol A (BPA), der im Körper wie ein weibliches Geschlechtshormon wirkt. Nach einwöchigem Wasserkonsum aus Plastikflaschen steigt nach den Harvard-Erkenntnissen die BPA-Fracht im Körper um zwei Drittel.
Das Bisphenol A und andere bislang weniger bekannte Plastikhormone sind nach einer Untersuchung der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt vom letzten Monat auch in 60 Prozent der untersuchten deutschen Wasserflaschen aus Kunststoff enthalten.
Die Stadt Chicago und der US-Staat Minnesota haben deshalb ein Verbot für Babytrinkflaschen mit Plastikhormonen eingeführt. Auch Kanada erwägt ein solches Verbot. Deutsche und europäische Behörden sehen hingegen keine Gefahr.
Die Harvard-Forscher ließen junge Studenten aus Mineralwasser-Flaschen trinken. Jeder der 77 Teilnehmer bekam eine Plastikflasche aus Polycarbonat und sollte nach einer einwöchigen Reinigungsphase mit Plastikabstinenz für sieben Tage alle kalten Getränke aus dieser Flasche zu sich nehmen.
Das Team rund um Karin B. Michels, Professorin für Gynäkologie und Fortpflanzungskunde an der Medizinischen Abteilung der Harvard Universität suchte vor allem nach einem Stoff namens Bisphenol A, einem sogenannten „Weichmacher“ mit Hormonwirkung.
Regelmäßig überprüften sie den Urin der Studenten auf die Substanz. Und es zeigte sich ein klarer Zusammenhang: Die Getränke transportierten die Plastikhormone aus der Flasche in den Körper und erhöhen deren Konzentration um zwei Drittel. Wesentlich dramatischere Ergebnisse erwarten die Forscher von warmen Getränken, wie etwa Milchmahlzeiten in Babyfläschchen. Auch diese sind seit Längerem unter Hormonverdacht.
Das Plastikhormon Bisphenol A wirkt wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen und ist in Fachkreisen als Hormonstörer mit erheblichem Gesundheitsrisiko in der Diskussion. So erhöht dieser etwa das Risiko für Herzerkankungen und Diabetes, stört das natürliche Sättigungssystem des Körpers und bringt auch die Balance der Geschlechtshormone durcheinander.
Aufgefallen sind die Hormonstörer in der Umwelt unter anderem weil im Tierreich immer häufiger Fortpflanzungsstörungen beobachtet wurden. Transsexuelle Fische etwa fanden sich in britischen, amerikanischen und japanischen Gewässern, aber auch im Thuner See in der Schweiz (siehe DR. WATSON NEWS vom 01. Juni 2006 ).
Experten fürchten eine Verweiblichung der Natur und sehen durch die Plastikhormone sogar die Fortpflanzung des Menschen bedroht. Im Juni 2009 veröffentlichte die Adelphi Universität in New York eine Datenauswertung, die belegt, dass Bisphenol A bei Mädchen für vorzeitige Pubertät verantwortlich ist.
Das Thema stößt auf höchstes wissenschaftliches Interesse; Insgesamt sind in wenigen Wochen seit Mai 2009 weltweit 23 wissenschaftliche Arbeiten zum Bisphenol A, seiner Konzentration im Essen, Trinkwasser und Babymahlzeiten, der Anreicherung und Ablagerung im Körper sowie zu seiner Wirkung auf die Hormone und die Fortpflanzung.
Ob die Kunsthormone aus Wasserflaschen tatsächlich auf die Fortpflanzung wirken, untersuchten etwa Wissenschaftler der Goethe Universität in Frankfurt am Main. Der Doktorand Martin Wagner und Professor Jörg Oehlmann vom Institut für Ökotoxikologie untersuchten 20 Plastikflaschen verschiedener Mineralwassermarken auf ihre Östrogenwirkung.
Neben Bisphenol A enthielten die Behälter etliche weitere Hormonstörer. Und dieser Östrogen-Mix, so die Umwelttoxikologen, sei noch bedenklicher, da sich die verschiedenen Wirkungen nicht nur addieren sondern vervielfachen. „Cocktail-Effekt“ nennt das die Wissenschaft.
Plastikverpackungen enthalten relativ große Mengen dieser Substanzen und gelten damit als eine entscheidende Gefahrenquelle.
Nach Kanada als Vorreiter schützen nun auch die amerikanische Stadt Chicago und der Bundesstaat Michigan ihre Babies und Kleinkinder per Gesetz vor dem Hormonstörer Bisphenol A. Amerika produziert bereits BPA-freie Trinkflaschen für Babies.
Die zuständige deutsche Behörde allerdings, das Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), sieht bislang keinen Handlungsbedarf. Noch im März gab das Institut Entwarnung, weil angeblich nicht geklärt sei, dass die Hormone tatsächlich aus dem Plastik stammten. Die neuesten Studienergebnisse aus Frankfurt kritisiert das Institut als "problematisch", zu unübersichtlich. Man müsste erst sehen auf welche Substanz im Hormoncocktail die Versuchstiere reagiert hätten, bevor man daraus ein Verbot ableite.
Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das britische Pendant FSA bestätigen trotz neuer Erkenntnisse jetzt erneut ihre Unbedenklichkeitsbescheide für Bisphenol A.
Mehr über Plastikhormone und ihre Wirkungen auf den menschlichen Körper: Hans-Ulrich Grimm: Die Kalorienlüge.