Der Rauchgeschmack kommt immer häufiger aus dem Kübel: Viele Würstchen und andere Fleischerzeugnisse, auch Fische, werden heute nicht geräuchert, sondern mit sogenanntem Flüssigrauch geduscht. Das ist billiger und geht schneller. Darum hat der Fertigrauch eine rasante Karriere gemacht.
Die Raucharomen können sich nicht nur in Würstchen, Schinken, Räucherfisch verbergen, sondern auch in geräuchertem Käse, Tofu, in Chips und Crackers, in Pizza, Suppen, Fleischmarinaden, Salatsaucen, Suppen, Baked Potatoes, Saucen, Dips, Ölen.
Ein förmliches Zulassungsverfahren gab es wie bei allen Aromen nicht. Die Food-Hersteller können sie seit Jahren ganz nach Gusto ohne Gesundheitsprüfung einsetzen und tun dies auch auf breiter Front.
Jetzt aber hat die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit im italienischen Parma (Efsa) diese Geschmacksstoffe erstmals untersucht - und gesundheitliche Bedenken geäußert. In Tierversuchen hatten sie zu Lymphknotenerkrankungen und Erbgutschäden geführt.
Die Effekte seien zwar erst in höherer Dosis aufgetreten, doch angesichts der weiten Verbreitung der Stoffe seien Gesundheitsbedenken angebracht.
Um das tatsächliche Gesundheitsrisiko abschätzen zu können, wäre es wichtig zu wissen, wie viel Industrierauch eingesetzt wird. Und um ihm entgehen zu können, wäre es für die Verbraucher interessant, wo er überall enthalten ist.
Leider zählen solche Fragen in der Parallelwelt der industriellen Nahrung zu den schwierigsten. Die Behörden tappen im Dunkeln, die Hersteller auch, und die Verbraucher erst recht.
Die deutsche Bundesregierung machte auf Anfrage von DR. WATSON keine Angaben zur Frage, in welchen Produkten die bedenklichen Aromen enthalten sind.
Das mag bedauerlich scheinen, doch in Zukunft wird alles gut: Immerhin sollen in eine künftige "Positivliste" nur Raucharomen aufgenommen werden, die "keine Risiken für die menschliche Gesundheit" darstellen und den Verbraucher nicht irreführen, so eine Sprecherin von Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) gegenüber DR. WATSON.
Lebensmittelkontrolle ist eigentlich Ländersache. Doch auch die Landesbehörden sind mit der Welt der Industrienahrung überfordert. Immerhin haben sie das Ausmaß des möglichen Risikos durch industriellen Neu-Rauch erkannt.
"Bei den Sicherheitsbewertungen muss die vielseitigere Verwendungsmöglichkeit von Raucharomen im Vergleich zum herkömmlichen Räuchern berücksichtigt werden", so ein Sprecher des baden-württembergischen Ernährungsministers Peter Hauk (CDU) gegenüber DR. WATSON.
Wohl wahr. Leider weiß auch Hauks Ministerium nicht, in welchen Erzeugnissen sich die Raucharomen verbergen.
In der komplizierter werdenden Parallelwelt der industriellen Nahrung haben die Behörden kapituliert und die Verantwortung weitgehend den Herstellern überlassen.
Leider wissen auch diese nicht so genau, was sie wo in welchen Mengen einsetzen. Sie sind schließlich, so ist das in der Industrie, von ihren Zulieferern abhängig. Und die sind offenbar hinsichtlich ihrer Rezepturen ziemlich wortkarg, nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sogar gegenüber dem größten Nahrungshersteller der Welt.
Der Food-Multi Nestlé jedenfalls hat keinen Überblick über die von ihm eingesetzten Aromen. Der Konzern beziehe sie, so Nestlé auf Anfrage von DR. WATSON, von Lieferanten und habe daher selbst keine genaue Kenntnis: Es handele sich „um komplizierte Rezepturen, die von den Aromen-Lieferanten aus Wettbewerbsgründen nicht im Detail bekannt gegeben werden.“
McDonald’s hüllt sich ebenfalls in Schweigen über das eingesetzte Raucharoma. Es ist zum Beispiel in der „Barbeque-Sauce“ enthalten, die es etwa zu Chicken McNuggets gibt. Ob dabei in diesem McDonald’s-Produkt die von der Sicherheits-Behörde EFSA inkriminierten, gesundheitlich bedenklichen Substanzen enthalten sind, mochte die Firma auf Anfrage von DR. WATSON nicht sagen.
In Sachen Raucharomen würde McDonald's Europa aber auf jeden Fall „eng mit der EFSA zusammenarbeiten“ und sich, wenn es so weit ist, „nach den finalen Empfehlungen der EFSA richten.“
Die Firma Red Arrow, einer der Erzeuger von Rauch aus Kübeln, gab sich „nicht überrascht“ über die Entscheidung: Die Raucharomen „können nicht gänzlich unbedenklich sein“, da sie ja Mikroorganismen abtöten sollten, ganz wie echter Rauch." Echter Rauch sei auch nicht gesund, daher sei der industriell erzeugte Rauchgeschmack sogar noch gesunder.
Die Bundesrepublik Deutschland müsste eigentlich nach einer EU-Vorgabe seit dem Jahr 1995 eine Statistik über den Verzehr von solchen Zusatzstoffen aufstellen ( Bericht der EU-Kommission aus dem Jahre 2001).
Doch die deutsche Bundesregierung sträubt sich dagegen hartnäckig.
Auch bei der sogenannten Nationalen Verzehrsstudie II vom letzten Jahr hat sie darauf verzichtet, Erkenntnisse über die Verbreitung der chemischen Nahrungszusätze in der Bevölkerung zu sammeln: Der Widerstand aus der Industrie war zu groß: Sie weigert sich, so klagen die zuständigen Behörden, Daten über die verwendeten Zusätze preiszugeben (siehe DR. WATSON NEWS vom 10. November 2008).
Die Verbraucher können das Risiko auf dem Etikett nur erahnen: Auf dem Etikett steht nach Angaben des baden-württembergischen Ernährungsministeriums "in der Regel" das Wörtchen "Aroma". Dadurch, so räumt das Ministerium ein, sei für den Verbraucher "nicht ersichtlich", ob er Raucharoma zu sich nimmt. Es kann mitunter auch als "Raucharoma" gekennzeichnet werden. Wenn dagegen "Rauch" draufsteht, sei echter Rauch im Spiel gewesen.