Die neuen Analysen im Auftrag der Umweltschützer wiesen das künstliche Hormon zumeist in der Innenbeschichtung von Getränkedosen nach. Bei Red Bull, dem Soft Drink Sprite, Nescafé „Xpress Vanilla“ und zwei Biersorten allerdings auch im Getränk selber.
Bisphenol A wird häufig als „Weichmacher“ bezeichnet. Es zählt zu den sogenannten Hormonstörern (im Experten-Jargon: „Endocrine disruptors“). Zu dieser Gruppe gehören auch andere Chemikalien aus Kunststoffen, Pestzide und diverse Nahrungszusätze.
Angesichts solcher Chemikalien, die wirken wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen, meinte das chronisch argwöhnische Magazin Der Spiegel schon vor Jahren: "Exzessiv um ihre Männlichkeit besorgte Zeitgenossen" sollten "beim Öffnen von Bierflaschen den Kronkorken nur mit spitzen Fingern berühren" und überdies auch "Erdbeeren mißtrauen".
Jetzt müssten sie zudem um Bierdosen einen Bogen machen: hormonhaltig waren nach den BUND-Analysen auch das an Tankstellen erhältliche dänische „Faxe“-Bier und das „Schöfferhofer“-Weizenbier-Mixgetränk Geschmacksrichtung „Grapefruit“.
In vielen Staaten Amerikas und in Kanada ist BPA für Babyflaschen verboten. Dänemarks Parlament forderte im Mai 2009 die Regierung auf, BPA in Kindertrinkflaschen zu verbieten. Französische Senatoren legten letzten August einen Gesetzentwurf vor, der die Verwendung von BPA einschränken sollte.
Die Chemische Industrie hält die Chemikalie für harmlos; sie hat eigens eine wissenschaftliche „Task-Force“ eingesetzt, die dies nachweisen soll.
Auch den obersten Behörden für Nahrungssicherheit in Deutschland und der Eoropäischen Union gilt Bisphenol A als eher harmlos. So urteilte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die höchste deutsche Behörde zur Beurteilung von Lebensmittel-Risiken, in seinem Gutachten vom Oktober 2009: „Es besteht keine akute gesundheitliche Gefährdung durch die Aufnahme von Bisphenol A“ (siehe DR. WATSON NEWS vom 21. Oktober 2009).
„Akute“ Gefährdung befürchtet allerdings auch niemand. Weltweite Besorgnis lösen Plastikhormone wie Bisphenol A aus, weil sie langfristige Schäden anrichten können, vor allem die Fortpflanzungsfähigkeit bedrohen - und damit in letzter Konsequenz den Fortbestand der Menschheit.
Bisphenol A greift aber nicht nur in die Sexualfunktionen ein, es wirkt sich auch auf Gehirn und Verhalten aus. Besonders bedenklich ist es für Föten, Babys und Kleinkinder, die in der Wachstumsphase relativ gesehen mehr Nahrung und damit mehr Giftstoffe aufnehmen.
Immer mehr wissenschaftliche Studien fördern Gesundheitsrisiken zutage - zuletzt zeigten Wissenschaftler der Universität von Texas, dass das Asthmarisiko bei Kindern steigt, wenn die Mütter mit dem Plastikhormon belastet waren - zumindest bei Mäusen.
2009 zeigte eine Studie der Universität des US-Staates North Carolina und der Simon Fraser Universität (SFU) im kanadischen Vancouver, dass zweijährige Mädchen aggressiver und hyperaktiver wurden, wenn ihre Mütter während der Schwangerschaft mehr BPA aufgenommen hatten.
Umgekehrt wurden Jungs verweiblicht, wie letzten November eine Studie der Universität von Rochester im US-Staat New York ergab (siehe DR. WATSON NEWS vom 24. November 2009).
Bisphenol A macht auch dick: Es kann nach neuen Erkenntnissen die Bildung von Fettzellen beschleunigen und zu Übergewicht führen. Bisphenol A kann sogar, wie der US-Hormonforscher Frederick vom Saal herausfand, die Nahrungsaufnahme der Menschen komplett umprogrammieren – schon vor der Geburt.
Frauen mit hohen Bisphenolkonzentrationen im Blut seien im Schnitt schwerer als Frauen mit niedrigen Werten. Kinder von stark BPA-belasteten Frauen werden dicker als die von unbelasteten Müttern.
Amerikanische Untersuchungen zeigten 2007, dass der Stoff in Dosen mit Säuglingsnahrung enthalten ist, etwa in »Good Start« von Nestlé. Die Behörden meinten allerdings, es sei unklar, ob damit auch eine Bedrohung für die Kinder verbunden sei.
Schon früher war der Stoff etwa in Plastik-Milchflaschen gefunden worden, auch in Babyfläschchen, in Fischbüchsen, in vielen Nahrungsmitteln aus dem Supermarkt.
Ende letzten Jahres hatten Untersuchungen im Auftrag des BUND die Belastung vor allem von Kindern nachgewiesen: in allen zehn durch ein Testlabor geprüften Babyschnullern fand sich Bisphenol A.
Allein in den USA werden jährlich eine Million Tonnen produziert. Weltweit sind es drei Millionen Tonnen, hergestellt unter anderem vom deutschen Chemie-Giganten Bayer und dem US-Multi Dow Chemical.
Auch in Wissenschaftlerkreisen ist die Bewertung umstritten. Im Jahre 2009 etwa verkündeten 33 US-amerikanische BPA-Experten, neuerliche Bewertungen durch die amerikanische Regierung seien „Zeitverschwendung“. Die Chemikalie sei „gut erforscht“.
Die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa hatte schon im Jahr 2007 die Vorschriften entschärft und die akzeptable tägliche Aufnahmemenge („Acceptable Daily Intake“, ADI) auf 50 Mikrogramm pro Tag und Kilogramm Körpergewicht hochgesetzt - fünfmal mehr als zuvor.
Sie hatte sich dabei auf Untersuchungen gestützt, die von der Plastikindustrie gesponsert waren.
Alles über Plastikhormone aus Nahrung und Umwelt: Hans-Ulrich Grimm. Die Kalorienlüge. Über die unheimlichen Dickmacher aus dem Supermarkt. Dr. Watson Books, 2. Auflage 2009