Chemische Zusatzstoffe erleichtern die maschinelle Verarbeitung des Teiges, verlängern die Haltbarkeit und erhöhen das Volumen, blasen das Backwerk auf. Dafür kommen in Backstuben und Tankstellen zahlreiche Ingredienzen zum Einsatz.
Fürs Hamburgerbrötchen nimmt McDonald’s zum Beispiel E163, Calciumcarbonat, auch als Kalk bekannt. Lidl lässt diverse Emulgatoren und Stabilisatoren einbacken, ins Weizenmischbrot, das Kilo für 65 Cent, unter anderem die „Mono- und Diglyceride von Speisefettsäuren“ (E471). Diesen Designerstoff, den es in der Natur gar nicht gibt, nimmt auch die Firma „Lieken“ für ihr „Urkorn“-Brot mit dem schönen Namen „Anno Dazumal“, auch Aldis Brot-Zulieferer nimmt es für die „Ermstäler Schnitten“, und Zitronensäure (E 330) für das „Fitnessbrot“.
Über das allgegenwärtige Backenyzm Alpha-Amylase müssen sie auf dem Etikett gar nicht berichten.
Eigentlich sind sie unnötig. Kein richtiger Bäcker braucht sie. Doch in der modernen Backbranche muss alles schnell gehen und billig sein. Langes Kneten, Ruhezeiten, bis der Teig aufgegangen ist, das ist aus der Mode, da aufwendig und teuer.
Die Zusatzstoffe sind gesundheitlich nicht unproblematisch, können Allergien auslösen, wie die Enzyme, oder dem Darm schaden, wie die Emulgatoren. Die Zitronensäure schließlich kann den Zahnschmelz auflösen und das Leichtmetall Aluminium ins Gehirn transportieren.
Finnische Forscher stellen in ihrer im März 2010 veröffentlichten Studie nun eine traditionsreiche Alternative vor: sie nutzen Milchsäurebakterien aus dem Sauerteig, um die Herstellung zu erleichtern und das Brot zu verbessern.
Die Wissenschaftler der Abteilung für Lebensmittel-Mikrobiologie des technischen Forschungscenters VTT (Valtion teknillinen tutkimuskeskus) in der finnischen 240.000 Einwohnern-Stadt Espoo, nur etwa zehn Kilometer nordwestlich von Helsinki, haben lange über ihren Bakterienkulturen gebrütet, um geeignete Kandidaten zu finden. Über 100 Kleinstlebewesen wurden untersucht, die gemeinhin im Getreide oder anderen Lebensmitteln ansässig sind.
Grundvoraussetzung beim Bakterien-Casting war das richtige Verhalten der Kandidaten im Teig: Die kleinen Helfer sollten in Weizen arbeiten können und dort Stoffe bilden, die Wasser binden und damit den Teig elastischer machen.
Zusätzlich experimentierte das Forscherteam mit Gebackenem und identifizierte immerhin fünf Milchsäurebakterien-Arten, die die Knetbarkeit des Teiges verbesserten, das Volumen erhöhten und das Brot länger frisch hielten. Am erfolgreichsten waren die kleinen Tierchen vom Stamme der Weissella confusa. Diese kommen auch im klassischen Sauerteig vor.
Ihre Wirkungen erzielt die winzige Weisella durch Dextran, einen Stoff, den sie ausscheidet und der wie ein natürlicher Emulgator wirkt. Studienleiterin und Sauerteigspezialistin Kati Katina aus Espoo zeigt sich zufrieden den Ergebnissen: das Team hatte mit seinen Ergebnissen „wirklich Glück“ gehabt. Und der hauseigene Nachrichtenservice des Technischen Forschungszentrums VTT verheißt „mehr ökologisches, leckeres Brot mit der VTT Methode“.
Auch deutsche Wissenschaftler von der Universität Hohenheim ließen sich begeistern von den Sauerteigbakterien und ihren brachliegenden Talenten. Die Institute für Lebensmittelmikrobiologe sowie für Technische Mikrobiologie der Universität bei Stuttgart erkundeten von 2000 bis 2006 das wirtschaftliche und backtechnische Potential in einem Forschungsprojekt für den Verband der Backmittel und Backgrundstoffhersteller unter der Koordination der Firma Ernst Böcker, einem Sauerteigproduzenten in Minden.
Auch die Hohenheimer Forscher zeigten, dass sich Teig, Volumen, Kruste und Haltbarkeit des Brotes dank eines Bakteriums namens Lactobacillus Sanfranciscensis und seiner natürlich emulgierenden Ausscheidungen deutlich verbesserten. Auch bei der Verkostung durch Geschmacksexperten schnitt das Bakterienbrot deutlich besser ab als die Kontrollbrote. Die Hohenheimer Forscher wiesen darauf hin, dass die aus dem Sauerteig erzeugten Backmitttel auch deklarationsfreundlicher seien: So könnten Emulgatoren, Stabilsatoren, die ganzen hässlichen E-Nummern vom Etikett verschwinden - ganz im Sinne der „Clean Label“-Bewegung in der Nahrungsindustrie, die das Etikett gern säubern möchte, ohne prinzipiell von den industriellen Produktionsmethoden abzuweichen.
Denn die künstlichen Backhilfsmittel haben keinen guten Ruf:
Backmittel sind wahre Geheimwaffen der heutigen Backindustrie und aus dieser kaum wegzudenken: dank ihrer Hilfe kommen Brot und Brötchen, auch Kleingebäcke stets gleichmäßig und voluminös aus dem Ofen, unabhängig von Wetter, Tagesform und Kompetenz des Backenden. Sie sorgen dafür, dass die Kruste schön braun wird, dass die Brötchen größer erscheinen und stets gleich gelingen. Backmittel sind bei Bäckern, Tankstellen und Brotfabriken allgegenwärtig: rund zwei Kilogramm Backmittel nimmt jeder Bundesbürger mit dem Verzehr von über 84 Kilo Backwaren pro Kopf im Jahr zu sich.
Schon 1993 fanden Wissenschaftler vom Berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin an der Ruhr-Universität Bochum heraus, dass ein großer Teil der vermeintlichen Mehlstauballergien, Berufskrankheit der Bäcker, in Wahrheit eine allergische Reaktion auf das Enzym Alpha-Amylase ist.
Weitere Studien zeigten, dass die allergene Wirkung auch nach dem Backen anhielt, Aufbackbrötchen und anderes Backwerk also ein bislang unterschätztes Allergierisiko darstellen. Typische Brot-Emulgatoren schädigen die Darmschleimhaut, das Konservierungsmittel Zitronensäure kann den Zahnschmelz angreifen und gleichzeitig das Hirn schädigen. Mehr über chemische Zusatzstoffe und ihren Einfluss auf den Körper: Hans-Ulrich Grimm, Bernhard Ubbenhorst. Echt künstlich. Das Dr. Watson Handbuch der Lebensmittel-Zusatzstoffe. Dr. Watson Books 2007
Demnach würde sich der Ersatz von chemischen Zusatzstoffen durch die Sauerteigbakterien nicht nur aus ökonomischer Sicht, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen lohnen.
Die finnische Forschung hat bereits Früchte getragen: als staatlich finanziertes Projekt haben die Forscher ihre Ergebnisse komplett öffentlich gemacht. Und Studienleiterin Katina berichtet, dass einige Bäckereien schon am Einsatz der neuen Methode arbeiten.
Es ginge natürlich auch ganz traditionell: mit dem klassischen Sauerteig. Solches Brot liefert beispielsweise der britische Starkoch Jamie Oliver seiner Königin Elisabeth II. Aber das ist wohl auch ein bisschen teurer als das von BACK-FACTORY, Aldi, Lidl oder Edeka