Von außen sieht sie eher harmlos aus: eine Glasfassade wie bei einem größeren Autohaus, eine unscheinbare Rezeption, wo ein Mädchen sitzt und ein Uniformierter, an der Wand die Flaggen der Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU). Dabei ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa („European Food Safety Authority“) schon zum Hassobjekt der Nahrungsindustrie geworden. Keine andere europäische Einrichtung sorgt derzeit so für Unmut in den Kreisen der Industrie.
Es geht um die Werbesprüche zu Industrielebensmitteln, die angeblich besonders gesund sein sollen, gut fürs Gehirn, immunstärkend, herzfreundlich. Die Efsa prüft derzeit diese Sprüche und hat viele davon erst einmal, wegen mangelnder Beweise, abgelehnt, darunter alle zu den sogenannten „probiotischen“ Joghurts.
Die Branche schäumt, organisiert ihre Lobbygruppen, formiert sich zum Kampf gegen die ungeliebten Werbe-Aufseher in Parma.
Dabei gilt die Einrichtung eigentlich als industrienah. Im Verwaltungsrat sitzt sogar der Chef-Lobbyist der deutschen Food-Industrie, Matthias Horst, Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL) und der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Auch dabei der belgische Geschäftsmann Roland Vaxelaire, der Topmanager war bei Nestlé, Danone und der französischen Supermarktkette Carrefour. Die Industrie beaufsichtigt sozusagen ihre Aufseher.
Auch die Efsa-Experten sind oft industrienah: Als ausgewiesener Freund der Gen-Industrie gilt Efsa-Experte Professor Klaus-Dieter Jany, der früher bei der Karlsruher Bundesforschungsanstalt für Ernährung (jetzt Max-Rubner-Institut) war und beispielsweise den Gentech-Konzern Monsanto tatkräftig unterstützt hat. Zahlreiche andere Efsa-Wissenschaftler sind schon als Berater von Food-Firmen hervorgetreten.
Umso überraschter waren Kritiker wie auch Industrie über die Efsa-Entscheidungen zu den „Health Claims“ („Gesundheitsbehauptungen“): Gleich reihenweise wurden die Gesundheitsversprechen der Konzerne zurückgewiesen, weil es nach Efsa-Expertenmeinung keine ausreichenden wissenschaftlichen Beweise für die Reklamesprüche gibt.
44.000 Werbebehauptungen wurden eingereicht, in verschiedenen Sprachen. Insgesamt sind es etwa 4000 verschiedene Claims, und erst wenn die Efsa ihren Segen gegeben hat, dürfen sie weiter hinausposaunt werden.
Nach den ersten kritischen Stellungnahmen der Efsa sehen die Industrievertreter schon Milliardenumsätze gefährdet - und die Profite. Schließlich wollen sie mit den Behauptungen satte Gewinne einfahren.
Bisher ist das auch ganz gut gelungen. Bisher hat allerdings auch niemand die Behauptungen überprüft - außer vielleicht der Esser-Organisation Foodwatch, die für den Actimel-Spruch von Danone („Actimel activiert Abwehrkräfte“) gleich den „Windbeutel des Monats“ verliehen hat, einen Preis für die dreisteste Werbeaussage im Wettbewerbszeitraum.
Auch die Efsa hat schon einen Danone-Claim abgelehnt, es ging um Babynahrung. Der Konzern hat daraufhin seine gesamten Claims zurückgezogen, um weiteren Ablehnungen zuvorzukommen.
Jetzt stehen die Efsa-Experten im Sperrfeuer der Industrie. Es geht schließlich ums Geld, daher sind die Claims eine „todernste Angelegenheit“ (so ein Branchen-Kommentator).
Die Efsa-Leute wehren sich gegen die Kritik, sehen sich allein wissenschaftlichen Kriterien verpflichtet. Wenn die Beweise nicht ausreichen, werden die Reklamesprüche zurückgewiesen. Ganz einfach.
Und sie wehren sich auch gegen den Vorwurf der Industrie, die Regeln für die Beurteilungen seien nicht transparent: „Die Spielregeln waren klar“, sagt Juliane Kleiner, die deutsche Chefin der zuständigen Efsa-Abteilung, die in diesen Tagen stark eingespannt ist, wenn das Expertengremium tagt.
Gleichwohl beklagen die Food-Konzerne den „Mangel an Dialog“ mit der Efsa. Jetzt rückt die Lobby in Richtung Parma vor, im Juni ist ein Treffen, bei dem sie ihre Positionen deutlich machen können. Und gleichzeitig operieren sie verstärkt auch hinter den Kulissen.
Das International Life Science Institute (Ilsi), eine weltweit operierende Lobbyorganisation der Food-Konzerne, hat beispielsweise eine kampfstarke „Task Force“ gegründet, mit Vertretern von Kellogg’s, Mars, Coca-Cola, Red Bull, Danone, Unilever, Monsanto. Mit im Lobby-Club der Industrie sitzt überraschenderweise der Präsident des staatlichen Max-Rubner-Instituts (früher Bundesforschungsanstalt für Ernährung) in Karlsruhe, Professor Gerhard Rechkemmer.
Oberhaupt der Untergruppe für Mundgesundheit ist lustigerweise eine Vertreterin von Südzucker, dazu Professoren aus Bern und Helsinki.
Diese Nähe zwischen Wissenschaftlern und Industrie war auch Gegenstand der Kritik.
Dass einzelne Professoren Verbindungen zur Industrie hätten oder im Industrieauftrag forschten, sei nicht ehrenrührig, meint die Efsa-Expertin Professor Hildegard Przyrembel: „Es geht nicht anders.“ Sie ist die Vize-Chefin des Health-Claims Gremiums, zum Meeting in Parma aus Berlin angereist.
Wer heute Forschung betreiben möchte, gerade zu Nahrungsmitteln, sei auf Industriegelder angewiesen. Sogar die EU gebe nur Forschungszuschüsse, wenn zugleich Geld aus der Industrie eingeworben werde, sagt die Professorin: „Sie können heute kein Wissenschaftler sein, der vernünftige Arbeit macht, ohne jemals mit der Wirtschaft in Kontakt zu kommen.“
Jetzt wird erst einmal der Dialog aufgenommen. Im Juni kommen die Industrievertreter nach Parma, um sich mit den Efsa-Leuten auszutauschen. Dann beraten die Efsa-Experten weiter, leider stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Irgendwann wird dann die Europäische Kommission die gesundheitsrelevanten Werbesprüche absegnen, die als wissenschaftlich bewiesen gelten.
Was aber ist bis dahin? Etwa mit dem Danone-Spruch „Actimel activiert Abwehrkräfte“? Der wurde ja bei der Efsa noch nicht abgesegnet, von Danone zurückgezogen.
Darf das in der Werbung jetzt nicht mehr behauptet werden? Schreiten die Aufseher aus Parma womöglich dagegen ein?
Dafür sieht sich die Efsa nicht zuständig. Vielleicht ist es die EU in Brüssel? Oder das deutsche Verbraucherministerium in Berlin? Oder eher die Aufseher in den Bundesländern?
Das ist noch unklar.
Danone mochte dazu gegenüber DR. WATSON bislang nicht Stellung nehmen.
Und wirbt jetzt erstmal weiter.
Vielleicht beugen sich ja die EU-Gremien den Argumenten der Industrie. Auch wenn die ein bisschen dünn sind.