Der Erreger ist brandneu auf dem Markt, Und er breitet sich rasend schnell aus. Natürlich ist das nicht. Schließlich gab es HUSEC 41, auch O104:H4 genannt, in der Natur gar nicht. Und auf natürlichem Wege hätte er sich auch nicht so schnell ausbreiten können.
Natürlich sind seine Verbreitungswege nicht: Er reist mit Trucks durch Europa. Auch seine Brutstätten sind so natürlich nicht: die Gemüsefabriken in Spanien.
Noch ist nicht klar, wie der Keim aufs Gemüse kam. Fraglich ist aber auch hier, ob die reine Natur am Werke war.
Bei den anderen hässlichen Verwandten des neuen EHEC-Keims jedenfalls waren es eher die naturwidrigen Praktiken, die den Erreger förmlich gezüchtet haben.
Etwa beim bisher berühmtesten Vetter von O104:H4, dem O157:H7, weltweit als „Hamburger-Keim“ bekannt, weil er zum ersten Mal bei McDonald’s auftauchte, vor fast 30 Jahren.
In der Natur gibt es die harmlosen Darmbakterien aus der Familie E.coli. Jeder Mensch trägt sie in sich. Irgendwann in neuerer Zeit hat sich
– auf ungeklärte Weise – eine E.coli-Bakterie der harmlosen Sorte
ein Gen vom Erreger der Bakterienruhr aufgeschnappt und sich
dann kräftig vermehrt.
Die Ursache für die Ausbreitung der neuen Bakterien, urteilte der jetzt berühmt gewordene Münsteraner
EHEC-Experte Professor Helge Karch schon nach früheren Ausbrüchen, sei die Massentierhaltung, insbesondere die »nicht artgerechte Fütterung«.
Moderne Hochleistungsrinder, die Fleisch ansetzen oder viel Milch geben müssen, werden mit ausgeklügelten Getreide-Kraftfutter-Mischungen versorgt. Und just
diese begünstigen die Verbreitung der agressiven Kleinstlebewesen. Jedenfalls bei O157:H7.
Das hatten Wissenschaftler von der Cornell-Universität in Ithaca im US-Staat New York zusammen mit amerikanischen Regierungsexperten schon im Jahre 1998 herausgefunden. Der Grund: Das
Getreide, mit dem die Tiere gefüttert würden, wird im Magen der Tiere nur unvollständig abgebaut und gelangt deshalb unverdaut in den
Darm. Dort beginnt es zu gären, es bildet sich ein saures Milieu. Die
Bakterien werden dadurch gewissermaßen abgehärtet, sie gewöhnen
sich an saure Umgebung und überstehen später im menschlichen
Magen auch die Attacken der menschlichen Magensäure.
Wenn die Tiere artwidrigerweise das Getreide-Kraftfutter bekamen,
fanden sich 250 000 E.coli-Zellen von der gefährlichen Sorte pro
Gramm im Darminhalt. Bei den Tieren, die Heu oder Gras bekamen,
waren es nur 20 000 Zellen. Und die lebten nicht lange: 99,99 Prozent
von ihnen wurden durch die Magensäure beim Menschen abgetötet
– und konnten keinen Schaden mehr anrichten.
So die US-Studie, die im Wissenschaftsjournal Science veröffentlicht wurde. Und, wie häufig in der Wissenschaft, später angezweifelt.
Unzweifelhaft ist: Die komplexen industriellen Produktionsstrukturen begünstigen auch die Wanderung der Kleinst-Terroristen in andere Milieus - und die Suche nach den Quellen der Verseuchung.
Im Sommer 2009 rief der weltgrößte Nahrungshersteller Nestlé in
den USA gekühlten Keksteig seiner Marke »Toll House« zurück, weil
Kunden nach Verzehr des Nestlé-Produkts mit schwersten Magen-Darm-Problemen ins Krankenhaus mussten; den Gesundheitsbehör-
den wurden 66 Fälle in 28 US-Bundesstaaten gemeldet. Nestlé warnte:
»Kunden, die den Keksteig gekauft haben, sollten ihn nicht essen.
Stattdessen raten wir den Verbrauchern dringend, die Produkte zu
ihrem örtlichen Händler zurückzubringen.«
Auch hier waren am Werk, nach Recherchen der US-Lebensmittelbe-
hörde FDA (Food and Drug Administration): EHEC-Bakterien vom Typ E. coli O157:H7.
In Deutschland wurde 1993 Petersilie in einer Kräuterbutter als EHEC-Quelle identifiziert. 1996 fiel der Verdacht auf Teewurst
und Mortadella. In Japan bei der weltgrößten EHEC-Epidemie waren
Rettichsprossen der Überträger. An verseuchtem Kartoffelsalat, der
von einem Partyservice geliefert wurde, erkrankten 1998 im US-Staat
Illinois viertausend Menschen. Der Erreger breitete sich auch auf Orangensaft, Apfelsaft aus. Bei einem Ausbruch 2006 in mehreren amerikanischen Bundestaaten war es Spinat.
Auch die sogenannte Naturkost wird zunehmend im industriellen Stil betrieben. Mit artwidrigen Praktiken und undurchsichtigen Lieferbeziehungen. Nicht nur in Spanien.
Schon früher waren daher auch Bio-Produzenten betroffen. 2004 wurden in „Salametti“-Würsten der Firma Chiemgauer Naturfleisch EHEC-
Bakterien nachgewiesen.
So war es nur eine Frage der Zeit, bis das natürlichste Nahrungsmittel kontaminiert wurde: das Trinkwasser. Im kanadischen 6000-Seelen-
Städtchen Walkerton sind im Jahr 2000 ein Drittel der Einwohner
an EHEC-belastetem Wasser erkrankt, achtzehn starben.
Auch in Deutschland findet sich der Keim schon im Wasser. Im Oberstdorfer Stadtteil Schöllang musste deshalb zeitweilig das Wasser abgekocht werden, ebenso im bayrischen Mühldorf am Inn. Sogar in Trinkwasserversorgungseinrichtungen in Bayern breitete sich der Erreger aus.
»Die weite Verbreitung neuer Krankheitserreger wie EHEC in der Umwelt stellt ein Gefahrenpotenzial dar, das im Zusammenhang mit Trinkwasser
als ernsthaftes Problem zu betrachten ist«, befand nach den ersten EHEC-Auftritten in Trinkwasserquellen eine Untersuchung
des bayrischen »GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesund-
heit«.
An den Ursachen der Ausbreitung mögen Politik und Food-Branche aus wirtschaftlichen Gründen nichts ändern. Stattdessen werden teils bizarre Waffen eingesetzt, etwa Sprühkanonen der US-Armee zur Desinfektion (DR. WATSON NEWS vom 27. November 2008 )
Siehe auch das Stichwort "EHEC" in: Hans-Ulrich Grimm. Die Ernährungsfalle.
Mehr zu Globalisierung und EHEC-Verbreitung: Hans Ulrich Grimm. Tödliche Hamburger: Wie die Globalisierung der Nahrung unsere Gesundheit bedroht.
Zu artwidriger Fütterung und EHEC: Hans-Ulrich Grimm. Katzen würden Mäuse kaufen: Schwarzbuch Tierfutter.