Es ging um die sogenannte Molekulargastronomie. Die ist gerade ziemlich in Mode, denn sie produziert Erstaunliches: nicht nur Schäume aller Art, sondern auch bizarre Neuerungen wie ein Olivenöl, das in silbernem Draht verwandelt wurde. Der Spanier Ferran Adriá ist der Guru dieser Szene. Er war sogar vor zwei Jahren zur Kasseler Documenta eingeladen worden, der Avantgarde-Kunstschau, als erster Koch unter Künstlern.
Bisher dachte ich, das sei kein Fall für DR. WATSON. Die Spitzengastronomie hielt ich bisher für eine chemiefreie Zone, vielleicht ein bisschen durchgeknallt, doch Hort der Qualität, teuer, aber spannend. Kochkunst als Gegenbild zum Kunstkochen der Nahrungskonzerne.
Doch jetzt wächst zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört.
„Die Reise des Xanthan“ hieß die Veranstaltung.
Xanthan ist ein ganz toller Stoff, ein Stabilisator, der zum Beispiel den Ketchup homogen beisammenhält. Sonst flösse auf dem Teller das Wasser davon.
Xanthan (E 415) gilt als harmlos. Und als vollkommen natürlich, das betonen sie in Mainz immer wieder.
DR. WATSON weiß: Wenn sie dies betonen, ist höchstes Misstrauen geboten.
Niemals würde eine Marktfrau sagen, ihre Äpfel seien „völlig natürlich“ gewachsen. Man würde glauben, jetzt spinnt sie. Oder es muss etwas faul sein mit ihren Früchten.
Die Wahrheit ist: Xanthan gibt es in der Natur nicht. Der Stoff muss eigens hergestellt werden, aus den Ausscheidungen von, mitunter genmanipulierten, Bakterien. Xanthan wurde speziell für die Wünsche der Nahrungsindustrie konstruiert. Niemand auf der Welt hat zuvor diesen Stoff gegessen.
Es ist, krass formuliert, Bazillenschiss.
Klingt nicht sehr appetitlich.
Die modernen Sterne-Köche priesen in Mainz auch einen Stoff namens Trans-Glutaminase an. 3-Sterne-Koch Joachim Wissler klebt damit Forellenfilets zusammen.
Im Archiv von DR. WATSON gibt es einen Prospekt
der Herstellerfirma Ajinomoto (die zugleich auch weltgrößter Glutamathersteller ist).
Slogan: „Transglutaminase - und Ihre Wurst hat wieder Biss...“
Mit Transglutaminase, einer Art Fleischkleber, kann man laut Prospekt auch aus Fleischteilen ein „zusammengesetztes Steak“ herstellen.
Ein Schnitzel à la Pattex sozusagen. Üblicherweise klebt die Nahrungsindustrie damit Formschinken aus Fleischabfällen zusammen. Hersteller Ajinomoto empfiehlt es auch, um (billige) kleine Jakobsmuscheln in wertvolle große Muscheln zu verwandeln.
So etwas macht Joachim Wissler vom Grandhotel Schloss Bensberg in Bergisch Gladbach natürlich nicht. Er sieht ein bisschen aus wie Jürgen Klinsmann und redet auch so. Ein sympathischer, nachdenklicher Mensch.
Wo liegt für ihn die Grenze beim Chemie-Einsatz?
Wissler zögert. Die Grenze, sagt er schließlich, wäre für ihn, wenn der Gast getäuscht werden würde. Also: Betrügerisches Zusammenkleben von Abfällen oder minderwertigen Rohstoffen zu scheinbar edlem Luxusgut.
Gut und schön. Aber bei der ZDF-Veranstaltung stellt im Foyer auch ein Händler seine Zutaten vor: Chemische Aromen, mit dem Geschmack von Bisquit, Cola und anderem mehr. Sojalezithin, Zitronensäure, Farbstoffe. Das höchst umstrittene Carrageen, aus dem sich laut Prospekt „Fester Kaviar“ herstellen lässt.
Sittlich weniger gefestigte Köche könnten da schon in Versuchung kommen. Was ist erlaubt, und wo verlassen wir den Pfad der Tugend?
Hans-Stefan Steinheuer, ein stattlicher Herr mit rheinischem Akzent und 2-Stern-Restaurant in Bad Neuenahr, fragt in solchen chemischen Zweifelsfällen immer Professor Thomas Vilgis.
Wenn der sagt, okay, dann nimmt es Steinheuer, wenn er sagt, Finger weg, dann lässt er es.
Thomas Vilgis ist so etwas wie der Chefideologe der Molekularbewegung. Er ist Professor am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz.
Polymerforschung?
Früher fragte der Koch, wenn es um die Rohstoffe ging, den Gemüsehändler, den Winzer, den Hühnerhalter oder Ochsenmäster. Heute fragen sie den Polymerforscher. Was Polymere sind? Polymere seien die „Bausteine der Zukunft“, verkündet dessen Institut in seiner Selbstdarstellung (Überschrift: „Polymerforschung leicht gemacht“).
Professor Vilgis ist Physiker und räumt ein, dass er von den medizinischen Folgen des Molekularkochens eher weniger verstehe.
Dazu hat der „Stern“-Autor Jörg Zipprick aus Paris recherchiert: Er selber hatte nach einem Besuch bei Molekularpapst Adriá in Spanien Bauchgrimmen, und startete daraufhin eine Umfrage. Ergebnis: 26 von 30 befragten Besuchern in Adriás Küchenlaboratorium hatten hernach gesundheitliche Beschwerden.
Vielleicht sollte das ein Alarmzeichen sein: Wenn das Essen dem Körper nicht mehr gut tut, hat es seine Funktion verfehlt. Wenn Köche daran mitwirken, sind sie auf dem Holzweg.
Künftig wird DR. WATSON seine Recherchen auch auf die Spitzenköche ausdehnen. In der Hoffnung, dass es dann auch, wenigstens manchmal, Vergnügen bereitet.